Die Ehre der Slawen
reine Kampfeslust in ihren Augen.
Bikus verkannte das augenblickliche Schweigen der Mädchen hingegen völlig. Durch Rapaks zur Schau gestellten Mut angestachelt, begann er von einem Bein auf das andere zu hüpfen, verzog sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse und steckte die Zunge heraus.
»Schnattergänse, Schnattergänse …«, hallte sein Ruf zu den Mädchen hinüber.
Dies war der auslösende Punkt. Mit einem einzigen Satz sprangen die weiblichen Herausforderer hinter ihre Anführerin, die niemand anders als die hübsche Kosi war, und nahmen eine kampfbereite Haltung ein.
»Na warte, du kleiner Vielfraß, dir werden wir als Ersten den nötigen Respekt beibringen«, rief Kosi erbost. Gleich darauf stürmten die Mädchen auch schon los und versuchten den etwas abseitsstehenden Bikus zu greifen. Dieser entwickelte jedoch eine ungeahnte Schnelligkeit, schlug Haken und entwand sich geschickt den zugreifenden Armen. In Sekundenschnelle war er durch das Tor verschwunden, von der aufgebrachten Mädchenschar verfolgt. Dieser ganze Vorgang spielte sich mit einer solchen Geschwindigkeit ab, dass Paddie und Rapak überhaupt keine Möglichkeit mehr fanden, ihrem Freund beizustehen.
»Komm schnell Paddie, wir müssen Bikus retten!«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, stürmte Rapak nun ebenfalls durch das Tor, während Paddie hektisch nach einer Möglichkeit suchte, um die Schafe anzubinden. Wertvolle Zeit verrann, bis er sich endlich der Tiere entledigt hatte. Von der anderen Seite der Palisaden hörte er Gejohle und Gekreische. Dort schien ein wüstes Gerangel entbrannt zu sein. Sicherlich, Bikus und Rapak waren nicht die schwächsten Jungen des Dorfes, aber gegen fünf Mädchen gleichzeitig, das konnte einfach nicht gut gehen.
Ohne darüber nachzudenken, rannte Paddie los, um seinen bedrängten Freunden zu helfen. Kaum durch das Tor gekommen, sah er auch schon den ganzen Schlamassel. Während Rapak, noch aufrecht stehend, zwei Mädchen abzuschütteln versuchte, die kräftig an seinen Armen zerrten, lag Bikus bereits unter den anderen drei Mädchen begraben am Boden. Kosi kniete auf Bikus Rücken und versuchte ihm mit einer eisernen Bügelschere die Haarpracht über die Maßen abzuschneiden, während zwei ihrer Mitstreiterinnen seine Arme und den Kopf niedergedrückt hielten.
Warum um alles in der Welt Kosi eine Schere mit sich führte, war Paddie schleierhaft. Die Zeit der Schafschur war doch schon längst vorbei. Aber vielleicht wollten sich die eitlen Mädchen gerade in dem Moment gegenseitig die Haare kürzen, als die drei Freunde auftauchten.
Bikus konnte mit den Beinen strampeln, soviel wie er wollte, gegen diese dreifache Übermacht kam er einfach nicht an. Paddie orientierte sich blitzschnell und fand, dass sein kleiner Dicker in der ärgsten Klemme saß. Er sprang auf Kosi zu, die triumphierend das erste Büschel Haare in die Höhe hielt, und packte sie am ausgestreckten Arm. Mit einem kräftigen Ruck zerrte er sie von Bikus herunter und zog sie ein Stück von ihm weg. Seinem Freund gelang es nun, sich aus eigener Kraft zu befreien. Er drehte sich mehrmals um sich selbst, sodass die Mädchen ihn loslassen mussten. Noch aus der Drehung heraus sprang Bikus blitzschnell auf die Beine, sah sich gehetzt nach allen Seiten um und flüchtete zur nächsten Hausecke. Nicht viel weniger langsam waren seine zwei Gegnerinnen ebenfalls wieder auf den Beinen und nahmen sofort die Verfolgung auf.
Einige neugierig herbeigelaufene Dorfbewohner lachten lauthals, schritten aber nicht ein. Für sie war es normal, wenn sich ihre Kinder ab und zu balgten. Nach ihrer Meinung stärkten solcherart Auseinandersetzungen den Körper und den Geist ihres Nachwuchses. So etwas hatten sie selbst als Kinder und als Jugendliche durchmachen müssen, also war so eine kleine Rauferei etwas völlig Normales. Kosis Idee, dem armen Bikus die Haare zu scheren, fanden sie sogar äußerst originell und belustigend. Bis das kleine Dickerchen erwachsen war, würde seine Kopfpracht schon lange wieder nachgewachsen sein, also war alles nicht so schlimm, wie es im ersten Moment aussehen mochte.
Während Rapak immer noch mit seinen beiden Gegnerinnen rang, sah Paddie sich seiner angehimmelten Kosi allein gegenüber. Als sie ihren Arm losgerissen hatte und auf die Beine gesprungen war, drückten ihre Blicke und ihr Gebaren alles andere als liebevolle Zuneigung aus. Paddies heimliche Träume zerplatzten wie eine Seifenblase,
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