Die Eifelgraefin
rutschte ihr die Frage heraus, noch bevor sie nachdenken konnte. «Einnahmen und Ausgaben? Burgundischen Wein für Simon?»
Martin vergaß, was er hatte sagen wollen, und starrte sie verblüfft an. «Ihr könnt lesen?»
Sein überraschter Gesichtsausdruck gab ihr wieder etwas Selbstvertrauen, deshalb nickte sie beiläufig. «Selbstverständlich kann ich lesen, Herr Wied. Doch Eintragungen wie die Euren habe ich noch niemals gesehen.» Ihre Neugier war so groß, dass sie sich zu ihm hinüberbeugte, um besser sehen zu können.
Martin schob ihr das Buch zuvorkommend hin, zog seine Hand jedoch rasch wieder zurück, als er ihren erschrockenen Blick wahrnahm. Sie war fast unmerklich zurückgezuckt. Er schluckte seinen aufkeimenden Zorn hinunter – darin hatte er einige Übung – und konzentrierte sich stattdessen auf das, was sie eben gesagt hatte. Gleichzeitig bemühte er sich, die Tatsache zu verdauen, dass dieses Mädchen – eine einfache Bauernmagd! – tatsächlich des Lesens mächtig war. Hatte Elisabeth es ihr beigebracht? Und wenn ja – wozu?
«Dies ist mein Rechnungsbuch», erklärte er und deutete auf eine der Spalten. «Seht Ihr, hier trage ich meine Einnahmen ein, also das, was meine Kunden mir für die Waren bezahlen, die ich ihnen liefere. Und hier», er zeigte auf die Spalte daneben, «notiere ich meine Ausgaben.»
«Ausgaben?»
«Nun ja, natürlich.» Er nickte. «Ich kaufe zum Beispiel Wein bei Winzern in Burgund und der Provence, um sie hier weiterzuverkaufen.»
Sie nickte verständig. «Dann schlagt Ihr also etwas auf den Preis auf, den Ihr den Winzern bezahlt, damit am Ende noch etwas für Euch übrig bleibt.»
«In der Tat, das ist es, was ein Kaufmann tut. Man nennt es Geschäfte machen.»
Luzia fand das Rechnungsbuch höchst interessant. Neugierig ließ sie ihre Augen über die Spalten und Zeilen wandern. «Auf dieser Seite verzeichnet Ihr ausschließlich die Verkäufe an Herrn Simon, nicht wahr?» Sie runzelte ein wenig die Stirn, denn Elisabeth hatte ihr nicht beigebracht, Zahlen zu lesen, deshalb konnte sie mit den Beträgen, die der Kaufmann notiert hatte, nicht viel anfangen. Dennoch fiel ihr eine Ungereimtheit auf. «Ihr liefert Herrn Simon immer die gleiche Anzahl Weinfässer, nicht wahr?»
Martin nickte. «Vier normalerweise, selten sechs.»
Luzias Blick heftete sich wieder auf die unverständlichen Zahlen. «Es mag mich ja nichts angehen, aber warum bezahlte Herr Simon in der Vergangenheit immer unterschiedliche Preise für die gleiche Menge Wein?»
Verblüfft blickte er sie erneut von der Seite an. «Das habt Ihr also bemerkt? Seid Ihr sicher, dass Ihr vormals noch nie ein Rechnungsbuch gesehen habt?»
Sie lächelte, erleichtert, dass ihre Vermutung richtig gewesen war. «Wirklich nicht, Herr Wied. Doch man sieht es ganz genau an den Zahlen.» Sie deutete auf die Spalte mit den Einnahmen.
Martin lächelte etwas gequält. Mit so viel Intelligenz hatte er wirklich nicht gerechnet. «Tja, das erklärt sich leicht», sagte er, weil sie mit aufmerksamer Miene auf eine Antwort wartete. «Die Ausgaben, die ich für die Beschaffung des Weines aufbringen muss, sind nicht immer gleich. Steigen sie, muss ich dies an meine Kunden weitergeben.Bezahle ich weniger, kann ich den Wein günstiger weiterverkaufen.»
«Aha.» Luzia wand sich innerlich. Sollte sie ihm auf den Kopf zusagen, dass die Zahlen in der Spalte der Ausgaben offenbar immer gleich blieben? Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich. Saß sie womöglich gerade neben einem Betrüger, der den Burgherrn Simon schamlos übervorteilte?
Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie sich bereits viel zu lange mit dem Kaufmann unterhalten hatte. Je länger sie sich in seiner Gegenwart aufhielt, desto tiefer verstrickte sie sich in ihre ungehörige Maskerade. Deshalb stand sie abrupt auf und brachte es gerade noch fertig, ihm freundlich zuzunicken. «Habt Dank für Eure Erklärungen», sagte sie etwas spröde und nahm die Öllampe wieder an sich. «Ich muss mich nun um …», sie räusperte sich wieder, «um meine Aufgaben kümmern. Gehabt Euch wohl, Herr Wied.» Bevor er antworten konnte, hatte sie mit der freien Hand ihren Rock gerafft und eilte die Wendeltreppe hinauf.
Martin blickte ihr nachdenklich hinterher und zupfte wieder an seinem kleinen Finger. Das war nicht ganz so gelaufen, wie er es sich gedacht hatte. Doch woher hätte er wissen sollen, dass diese unverschämte kleine Magd einen derart hellen Kopf besaß? Und sie
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