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Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)

Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)

Titel: Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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und schon halte ich mich für verantwortungslos und ignorant und muss wenigstens die Schlagzeilen lesen.«
    Und ich lese noch nicht mal meine privaten. Ich schleudere meine Stiefel von den Füßen und die Hosen hinterher und springe zu Simon aufs Bett. Simon beeilt sich, das Tablett mit dem Kaffeegeschirr aus dem Weg zu räumen. Als meine nackten Füße seinen Körper berühren, verlangt er nach einem Notarzt, für sich selbst, denn meine Füße, sagt er, wären ohnehin nicht mehr zu retten. Ich versuche ihn mit einer Rückenmassage zu bestechen und, als ihn das nicht beeindruckt, mit einer Geschichte aus meinem Leben als Gegenleistung fürs Füßewärmen, und Simon stimmt begeistert zu und umschließt mit beiden Händen meine Füße und legt sie sich heldenhaft an seinen Bauch.
    »Oh, das ist schön. Willst du lieber eine alte Geschichte oder eine neue?«
    »Im Augenblick interessieren mich deine behaarten Großeltern am meisten, aber ich höre mir gern auch andere Sachen an. Solange sie wahr sind.«
    »Nichts als die Wahrheit. Also gut. Ich war nur ein einziges Mal in meinem Leben in Polen. Das war im Herbst 1983, als meine Mutter fand, dass für Marek und mich der richtige Zeitpunkt gekommen war, unsere Großeltern kennenzulernen. Marek ist mein kleiner Bruder. Er war damals acht und ich noch keine zwölf. Wir mussten zuerst mit dem Zug durch die DDR nach Berlin fahren und von da aus weiter Richtung Polen. In Berlin lebten Freunde meiner Eltern, die haben uns in den richtigen Zug gesetzt. Das Abteil, in dem wir saßen, war total ranzig, und die Fahrt dauerte ewig, aber wir hatten meinen neuen Walkman dabei und zwei Kopfhörer und einen Haufen TKKG-Kassetten für Marek. Und ich hatte meine allererste selbst aufgenommene Kassette mitgenommen. Sie hieß ›Tolle Lieder‹, weil alle tollen Lieder drauf waren, die ich kannte, Nena und Michael Jackson und Flashdance und Peter Schilling. Ich hatte mit Marek ausgemacht, dass nach drei Kassetten von ihm immer meine Tollen Lieder drankamen, und es klappte auch ganz gut.
    In Legnica holten uns die Großeltern ab. Sie sahen alt und arm und bitter aus, so ganz anders als unsere deutschen Großeltern. Mein Großvater hatte tatsächlich einen Bart und war der schweigsamste Mensch, dem ich je begegnet bin. Ich weiß nicht mal mehr, ob er etwas zur Begrüßung sagte. Viel später erfuhr ich, dass er als Gewerkschaftsmitglied ein paar Monate in Internierungshaft gewesen war und nach seiner Rückkehr kaum noch sprach. Ich hatte Angst vor ihm. Aber noch mehr Angst hatte ich vor meiner Großmutter. Sie war empört, als sie merkte, dass wir kein bisschen Polnisch konnten. Sie sprach leidlich Deutsch, aber sie hasste es. Sie hasste Deutschland und Deutsche, sie schien sogar meine Mutter zu hassen, etwas, das wir interessanterweise gemeinsam hatten, und ganz offensichtlich hasste sie vom ersten Moment an auch mich.
    Wir fuhren mit dem Bus in einen Vorort von Legnica, dessen Namen ich vergessen habe, und dann ging es noch ein ganzes Stück zu Fuß weiter, bis wir die Hütte erreicht hatten, in der meine Großeltern lebten. Es war wirklich eine Hütte. Marek und ich schliefen in der Stube auf einer ausziehbaren Couch. Es roch nach Kohl und nach Armut. Du musst wissen, dass wir zwei verwöhnte Blagen waren, was Wohnkomfort betraf. Keine Ahnung, was meine Mutter sich dabei gedacht hatte, uns dorthin zu schicken. Genauso wenig weiß ich, warum meine Großmutter damit einverstanden gewesen war, uns aufzunehmen, denn ohne ihre schriftliche Einladung hätten wir gar nicht nach Polen einreisen können.«
    »1983 war das Kriegsrecht schon wieder aufgehoben, oder?«, fragt Simon.
    »Ja. Und Walesa hatte gerade den Friedensnobelpreis bekommen, aber das wusste ich mit elf nicht, und wenn, wäre es mir egal gewesen. Eine Woche Ferien in Polen war ausgemacht. Ich wäre am liebsten schon am nächsten Tag wieder abgereist. Marek fand es in Ordnung dort, aber das lag daran, dass meine Großmutter völlig vernarrt in ihn war. ›Meine sieße Bengel‹, sagte sie immer und stopfte ihn mit Mehlspeisen voll und versuchte ihm Polnisch beizubringen. Marek ließ sie machen, er war daran gewöhnt, dass Leute ihn niedlich fanden. Am dritten Tag lernte ich ein Mädchen aus dem Dorf kennen, Agnieszka. Sie war etwas älter als ich. Sie hatte schon Brüste. Wir konnten nicht miteinander reden, aber Musik konnten wir zusammen hören. Wir versteckten uns im Hühnerstall und hörten Tolle Lieder. Meine Großmutter hatte

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