Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Lukas zusammen war, wirkte sie entweder geistesabwesend oder überfordert, aber sie wollte um keinen Preis wieder anfangen, in ihrem Beruf zu arbeiten. Als Simon eines Abends nach Hause kam, fand er Connie auf dem Sofa, wie sie reglos dasaß und aus dem Fenster ins Dunkel starrte, während Lukas vollgeschissen und vor Hunger brüllend neben ihr lag, dem Anschein nach seit Stunden. Die Diagnose des Neurologen war erwartbar: eine schwere depressive Episode. (Ich denke: Was für eine dramatische Kuh. Ich bin entsetzt, als ich das merke.) Es folgten mehrere Therapien, Psychoanalyse, Antidepressiva und eine Reihe von Au-pairs, die Connie im Alltag zur Seite standen. Heute, acht Jahre später, sind nur noch die Antidepressiva geblieben, mit denen Connie ihre wiederkehrenden Episoden einigermaßen in den Griff bekommt. Seit Lukas zur Schule geht, arbeitet sie wieder halbtags in einem Buchladen.
»Und du und Connie?«, frage ich.
»Nicht immer einfach«, sagt Simon. »Und immer wieder schön. Es gibt eine Menge Dinge, die wir beide mögen oder gern zusammen machen. Bergwanderungen. Konzerte. Filme. Da ist Lukas. Wir sind eine Familie. Und um deine nächste Frage gleich zu beantworten: Nein, wir haben schon lange keinen Sex mehr gehabt.«
»Meine nächste Frage wäre gewesen, ob ihr euch noch liebt.«
Simon wechselt vom Fußweg auf die Rasenfläche und beginnt mit den Füßen das Laub vor sich herzuschieben. Wir sind wieder auf vertrautem Terrain – Bäume, Blätter, Gras. Nur einen Teich mit Buddha hat der kleine Park hinter dem Marktplatz nicht zu bieten, dafür eine erstaunliche Menge an Bänken. Es sind vierzehn. Wir haben die Anlage bereits zum dritten Mal umrundet.
»Wir rennen seit Geralds Gehmeditation ständig im Kreis herum«, sage ich.
Simon lacht kurz auf und kickt einen Ast beiseite. Dann sieht er mich an. »Ob wir uns noch lieben? Ja. Ich nenne es Liebe. Ich hatte nie die Illusion, dass wir nach so vielen Jahren immer noch so leidenschaftlich rumvögeln würden wie am Anfang unserer Beziehung. Und ich weiß sehr genau, warum ich mich damals für diese Frau entschieden habe. Connies Krankheit hat uns allen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Und bevor du mich einen verlogenen Heiligen nennst: Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, wie es wäre, mich von ihr zu trennen.«
»Und du hast nie was mit anderen Frauen gehabt?«
»Nie. Keine Zeit. Kein Interesse. Falls mein Sohn eines Tages meine kleine DVD-Sammlung entdeckt, ist ein Gespräch unter Männern fällig.«
»Dann bin ich so was wie deine fleischgewordene Erotikphantasie?«
»Bist du nicht. So etwas Wunderbares wie gestern Abend hätte ich mir überhaupt nicht zusammenphantasieren können.«
»Ich weiß«, sage ich. »Ich rede Unsinn. Und es war ja auch meine Einsamkeit, die dich als Erstes fasziniert hat.«
»Das tut sie immer noch.«
»Jetzt verstehe ich auch, warum du mich noch nicht gefragt hast, ob ich einen Freund habe. Oder einen Ehemann. Das passt gar nicht zu mir, was?«
»Doch, das passt schon. Es ist nur so ein Gefühl. Hast du einen?«
Ich schüttle den Kopf, und Simon nimmt meine Hand und legt sie an seine Wange. »Deine Hände sind auch Ostblock«, sagt er. »Komm, lass uns zum Hotel zurückgehen.«
Ja, sofort, auf der Stelle. Nichts lieber als das. Dann fallen mir meine unerledigten Besorgungen wieder ein. Höchstens eine Stunde, sage ich zu Simon. Allerhöchstens. Versprochen. Beim Abschied übertreiben wir es ein wenig mit dem Küssen, und erst als ein Rudel Teenager von einer Parkbank aus unser Treiben mit Obszönitäten zu kommentieren beginnt, schaffen wir den Absprung. Simon wählt eine Abkürzung, von der er glaubt, sie würde ihn auf dem schnellsten Weg zurück ins Hotel bringen, und verschwindet in einer Seitenstraße. Ich laufe entschlossen Richtung Fußgängerzone.
Die Buden am Markt sind jetzt ganz abgebaut, nur das Rad mit den Kürbisgondeln steht noch da. Auf dem Pflaster davor liegt eine geringelte Kindermütze. Ich hebe sie auf und lege sie über das Absperrgitter, während ich mein Inneres nach möglichen Verletzungen absuche. Hat es wehgetan, Simon zuzuhören? Bin ich enttäuscht? Nein. Ich empfinde kein Mitgefühl für Connie und ihre Depressionen, aber das hat nichts mit Simon zu tun. Abwesende Mütter sind abwesende Mütter, was auch immer der Grund für ihre Abwesenheit sein mag. Ich teste mich: Wäre es mir lieber gewesen, wenn er mir die klassische Meine-Frau-versteht-mich-nicht-Nummer
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