Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Meditationskissen. Wollen wir darauf etwa Liebe machen? Oh, sie sind schön, das sehe ich beim Näherkommen, prall und rund und goldgelb wie Gummidrops oder die Sonne über Tibet. Oh, mit so einer Überraschung hatte ich wirklich nicht gerechnet. (Oh, ich bin ein wenig enttäuscht. Was hatte ich erwartet? Ein Feuerwerk?)
Simon beachtet mein Oh nicht weiter. Er führt mich zu einem der Kissen und lässt mich Platz nehmen. Mein rotes Kleid beweist ein weiteres Mal seine Vielseitigkeit, weil sein weiter Rock mir erlaubt, mich mit seitlich angewinkelten Beinen auf den Boden zu setzen. Meine nackten Knie berühren den Teppich. Ich lege die Hände auf die Oberschenkel und richte mich ganz auf. Es fühlt sich erstaunlich gut an, so zu sitzen, formell und feierlich. Vielleicht war es ja doch keine schlechte Idee. Ich sehe zu Simon hinüber, der sich auf dem anderen Kissen niedergelassen hat. Er sieht froh aus. Sein Gesicht leuchtet.
»He, Mila.«
»He, Simon.«
»Ich hab mir so sehr gewünscht, dich noch einmal so dasitzen zu sehen.«
»So?«
»Genau so.«
»Warum wolltest du das?«
»Weil das für mich der Ort ist, an dem du wirklich wohnst. Es gibt so viele Bilder von dir, die ich mitnehmen werde, aber das Bild, wie du mir gegenüber auf der Frauenseite sitzt, das ist mir das liebste.«
»Du meinst im Gruppenraum? Beim Meditieren?«
»Ja. Findest du mich seltsam?«
»Ein bisschen. Nein, das stimmt nicht. Ich finde dich überhaupt nicht seltsam.«
»Es war nicht nur deine Einsamkeit. Du hast so verletzlich ausgesehen. Und so entschlossen, den Dingen auf den Grund zu gehen.«
»Wahrscheinlich habe ich gerade über eine neue Sitztechnik nachgedacht.«
»Kann sein. In der nächsten Runde nach der Pause hattest du plötzlich dein ganzes Bettzeug dabei.«
Eine Weile sagen wir nichts. Wir halten uns mit den Augen fest.
»Du hast sehr besorgt ausgesehen, als du eben ins Zimmer kamst.«
»Jetzt bin ich nicht mehr besorgt«, sage ich.
»Gut. Hör zu, Mila. Mila, du Schöne. Ich schulde dir immer noch eine Liebeserklärung.«
»Du schuldest mir gar nichts«, sage ich.
Simon reagiert nicht auf meinen Einwand. »Als ich dir heute Morgen gesagt habe, ich hätte kein Konzept für uns beide, meinte ich damit, dass es einfach keine Form für unsere Liebe gibt. Aber das stimmt nicht. Es gibt dich und es gibt mich, und dann gibt es noch etwas ganz Eigenes, nämlich uns. Das ist die Form. Wir.«
Sag jetzt bitte nichts, lese ich in Simons Blick. Halt es einfach mal aus, ohne es zu kommentieren. Ich nicke.
»Du bist für mich keine Affäre oder ein Seitensprung oder eine Amour fou. Wenn ich an die Tage mit dir denke, werde ich immer denken: wir beide. Und ich bin so froh, dass wir den Mut hatten, uns zu erfinden.«
Die Stille legt sich zwischen uns wie ein großes, warmes Tier und rollt sich zusammen, und endlich begreife ich, dass sie mehr ist als das, was übrig bleibt, wenn man aufhört zu reden. Die richtige Stille kommt erst dann, wenn alles erlaubt ist, auch das Nichts, das Ende und das Nie-wieder.
Ich sehe mich um im Raum, in dem wir uns erfunden haben, und entdecke immer mehr Lichter, sie bilden Nester auf Tischplatten und balancieren auf Gardinenbrettern und Lampenschirmen. Ihre Flammen leuchten still und unaufgeregt. Die Blüten auf dem blauen Tuch sind Orchideenblüten von der Sorte, die ich gestern Abend unten im Wintergarten gesehen habe. Ich schaue wieder zu Simon. Ich versuche mir vorzustellen, wie er in zehn Jahren aussehen wird, in zwanzig. Wie er als Zwölfjähriger ausgesehen hat. Es gelingt mir nicht wirklich. Alles, was ich sehe, ist Simon jetzt. Und jetzt. Und jetzt.
Simon sagt: »Mila, mir hätte nichts Besseres passieren können, als dir zu begegnen. Nichts Schöneres und nichts Wichtigeres. Du hinterlässt Spuren. Vielleicht hast du sogar etwas Neues aus mir gemacht. Ich muss kein Denkmal für uns bauen, um das in Ehren zu halten. Ich stelle mir vor, dass du einfach immer bei mir sein wirst, wenn es still wird.«
»Immer, wenn es still wird?«, frage ich. »Immer?«
»Ich weiß nicht, wie oft das sein wird. Mein Leben war bis jetzt viel zu laut.«
»Dann machen wir es besser umgekehrt«, sage ich. »Immer, wenn ich bei dir bin, wird es still.«
»Für eine Geräuschprinzessin ist das ein ungewöhnliches Angebot«, sagt Simon.
Wir lachen.
»Ich werde nicht mal erfahren, wenn du stirbst«, sage ich. Ich begreife nicht, warum ich das jetzt sagen musste, aber der Satz war vor mir da. Ich
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