Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
mich, nicht sie, und das frustriert mich, wie immer.
»Dann bin ich eben nicht einverstanden. Aber ich respektiere seinen Wunsch.«
»Und wie geht es Ihnen damit?«
»Na, wie schon. Ich wünschte, es wäre anders.«
Ich habe noch nie Irenes System durchschaut, warum sie in manchen Situationen nachbohrt und in anderen eine provozierende Frage stellt, das Thema wechselt oder einfach schweigt, wenn ich schweige, und wartet, bis ich wieder etwas sage. Auch hier beginne ich oft zu interpretieren, frage mich, ob ihr Schweigen wohl ein Zeichen der Zustimmung oder des unendlichen Angeödetseins ist oder vielleicht der letzte Aufschub, den sie mir gibt, um wenigstens einen einzigen vernünftigen Satz zu formulieren. Zum Glück fällt mir meistens noch rechtzeitig ein, dass ich Irene ein stattliches Honorar pro Sitzung zahle und schön blöd wäre, hier um jeden Preis gut dastehen zu wollen, statt mich ihr in meinem echten Wahnsinn zuzumuten. Trotzdem brauche ich jedes Mal eine gewisse Anlaufzeit, bis ich mich wirklich preisgebe.
»Was mich völlig fertigmacht«, sage ich, »das ist die Frage, wozu diese Geschichte wieder gut war. Ich meine, ich treffe einen Mann, der mir so nahegeht wie schon lange keiner mehr. Es passt einfach alles. Und ich weiß, es geht ihm genauso wie mir. Aber wir machen nichts draus, aus guten Gründen. Aus seinen guten Gründen. Okay, ich hätte schreiend weglaufen können, als noch Zeit dafür war, aber wer würde so was schon tun? Also hab ich mich auf diesen Deal eingelassen. Und jetzt sitze ich auf dem Dach und heule den Mond an.«
»Sie müssen ein paar sehr schöne Tage zusammen verbracht haben mit – wie heißt er?«
»Simon. Ja, das war wunderbar. Aber mein Herz will mehr.«
»Sind Sie sicher, dass das Ihr Herz ist, was da spricht?«
»Der Sex war auch toll, falls Sie das meinen. Aber ich kann Sie beruhigen, es ist wirklich mein Herz.«
»Ich meine gar nichts. Und ich bin auch nicht beunruhigt, Mila. Was glauben Sie denn, wozu diese Geschichte gut war?«
»Aber das ist es doch«, sage ich. »Ich weiß es nicht. Mein ewiges Dilemma. Akzeptieren oder ungehorsam sein? Am Wochenende konnte ich dieser buddhistischen Idee, alles anzunehmen, was ist, durchaus was abgewinnen. Aber das hier ... Das war nicht genug. Das war zu kurz. Du ziehst dich nackt bis auf die Seele aus, und dann sagst du Auf Wiedersehen und ziehst dich wieder an, das kann’s doch nicht gewesen sein, oder?«
»Aber sicher kann es das gewesen sein. Es ist sehr menschlich, so zu denken, aber selten hilfreich.«
Sie hat recht. Wahrscheinlich steht am Ende von jeder Geschichte einer da und sagt, das kann’s doch nicht gewesen sein. Und es ist trotzdem vorbei. Oder auch nicht.
»Was genau haben Sie und Simon miteinander vereinbart?«
»Kein Kontakt. Weder E-Mails noch Anrufe.«
»Das ist sehr ungewöhnlich, sehr radikal und vielleicht sehr klug.«
Ja, Irene, ich weiß. Es ist wahrscheinlich irrsinnig klug. Was aber nicht heißt, dass es die klügste aller Lösungen sein muss.
»Wie kann ich wissen, ob es die beste Entscheidung war?«
»Wollen Sie eine Statistik von mir, Mila?«, fragt Irene. »Ich vermute, dass die meisten Fehlentscheidungen bei denen liegen, die das Ende nicht wahrhaben wollen.«
»Das gilt nicht«, sage ich. »Die, die es gleich bleiben lassen, werden nie erfahren, ob es nicht doch geklappt hätte.«
Der Punkt ginge an mich, wenn Irene nicht jede Vorlage in eine Provokation verwandeln könnte. »In der Tat, ein ewiges Dilemma. Und wie werden Sie es lösen?«
»Keine Ahnung. Durch Meditation? Ich setze mich aufs Kissen, schließe die Augen und sage: ›Hallo Liebe, schön dass du da bist, aber weil ich so ungewöhnlich und radikal bin, werde ich dich jetzt tapfer wegatmen, damit es mir bald wieder besser geht.‹ So was in der Art?«
Es folgt einer jener seltenen Momente, in denen Irene schallend lacht, den Kopf mit den silberweißen Haaren weit in den Nacken gelegt, und ich glaube, wenn ich den Trick raushätte, wie man es zuverlässig hinkriegt, würde ich viel öfter versuchen, sie zum Lachen zu bringen. Es sind die einzigen Momente, in denen sie etwas Persönliches zwischen uns erlaubt, ein geteiltes Gefühl, auch wenn mir jetzt eher nach Heulen als nach Lachen zumute ist, als ich mit einstimme.
»Ich will ja auch gar nicht, dass er sich meinetwegen von seiner Frau trennt«, sage ich, als Irenes Gesicht wieder ernst geworden ist und sie ihre Kostümjacke glatt gestrichen hat. »Ich meine,
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