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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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sagt das auch.«
    »Hör auf ihn.«
    Bix. Lieber Bix. Ohne Bix wär sie jetzt tot. Die Fahrt zum Madison Memorial war in Julies Hirn einzementiert wie ein Fossil in hartes Gestein: Phoebe, wie sie H. Rap Brown Bear gegen den Springquell preßte, der leider das Handgelenk ihrer besten Freundin war; der Knochen, der wie ein Fragezeichen aus dem Stumpf herausragte; wie sie beide unkontrolliert brüllten. Und dann den ganzen Alptraum – ihr Mann am Steuer des Tureen, weinend, stöhnend, ein ums andermal schreiend, er liebe sie, er liebe sie.
    »Geht’s dir besser?« fragte Bix. Er stellte eine Vase mit bleichen, verwelkten Rosen aufs Nachtkästchen. Er schaute schon das dritte Mal in dieser Woche vor der offiziellen Besuchszeit bei ihr herein.
    »Nein«, sagte Julie. Rosen: wirklich rührend. Ihr Mann wurde offensichtlich wieder normal.
    »Magst du das Seraph nicht?« Bix hatte sich gegen die Überstellung ins Seraph of Mercy gewehrt. Den Ärzten im Madison war er damit in den Ohren gelegen – sie ist nicht katholisch, laßt sie hier. Aber sie bestanden darauf, nur im Seraph würde Julie das kriegen, was sie einen ›holistischen Zugang zum Organverlust‹ nannten. »Behandeln sie dich gut?«
    »Ich find es gut.« Die Ärzte des Madison hatten mit dem Seraph durchaus recht. Heilsam geistliche Atmosphäre. Sonnendurchflutete Zimmer, Heiligenbilder, verschleierte Nonnen, die munter als eine Art kleine Kirchen aus Fleisch und Blut umherhuschten und die Beinlosen, Fußlosen, Arm- und Handlosen der ganzen Stadt besänftigten. »Es hat nichts mit dem Krankenhaus zu tun. Auch nicht mit der Hand.«
    »Die Eierstöcke, nicht? Würde dich so gerne trösten. Wenn ich bloß wüßte, wie!«
    »Ach so, trösten? Nicht nur ›höhere sprachliche Fertigkeiten‹?« sagte sie, ungewollte Bitternis in der Stimme. Sie kratzte sich mit dem bandagierten Stumpf an der Nase. Einigen Theorien zufolge war sie nun näher am Transzendenten, weniger Körper sollte den Geist auch weniger ins Materielle herunterziehen; statt dessen fühlte sie sich diesem Körper verhaftet wie noch nie; gebrochenes, um die verlorene Symmetrie trauerndes Stück Materie. »Niemand kann mich trösten. Nicht einmal Gott. Hast du dir je einmal gewünscht, tot zu sein?«
    »Sprich nicht so. Bitte.« Bix führte den Stumpf an die Lippen und küßte ihn. Julie haßte die Verletzung: das Jucken, den Geruch, die stinkende Gaze. Um einen sicheren Wundverschluß zu gewährleisten, hatte der Chirurg den Großteil der Handwurzel geopfert, das zerrissene Gewebe entfernt, Elle und Speiche verkürzt und die Haut einwärts vernäht. Die Naht sah aus wie das Grinsen bei einem betrunkenen Wels. »Ich hab Phoebe getroffen«, sagte er. »Sie wird zur A.A.-Fanatikerin.«
    »Wenn du deiner besten Freundin die Hand weggepustet hast, überdenkst du halt die Prioritäten.« Seltsamerweise stellte sie sich die Hand immer noch als intakten Gegenstand vor, wie sie auf der Straße vor 3411 Baring lag; Requisit aus einem von Roger Worths Horrorfilmen, Bestie mit fünf Fingern, Orlacs Hand, wo sie in Wahrheit doch bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert war, die Fingerknochen verstreut wie Muschelscherben am Absecon-Strand.
    Ein junger Mann – Elfengestalt im Labormantel – erschien in der Tür.
    »Kevin von der Prothesen-Abteilung«, verkündete er, falsche Fröhlichkeit in der Stimme.
    »Wie geht’s uns heute, Mrs. Constantine?«
    »Mein Daumen tut weh. Ich meine den, der in West Philly geblieben ist.«
    Kevin warf dem unzeitigen Besucher einen verdrossenen Blick zu.
    »Ist schon okay«, sagte Bix. »Ich bin auch Patient hier.« Er deutete auf den Schritt seiner Hose. »Hab mir grad das neue Modell einsetzen lassen.«
    »Mein Mann.« Julie gestikulierte mit der fischmäuligen Naht. Schön war die verlorene Hand nicht gewesen, die Handfläche eine narbige Masse, aber hundertmal beredter als dieser Stumpf.
    Kevin zog einen Karren heran, oben drauf ein Handschuh mit einer Art Gummi-Stahl-Panzerung. »Voilà.« Beschwörende Handbewegungen über dem Gerät, als ob er es dazu bringen wollte, sich in die Lüfte zu erheben. »Programmierbar. Temperatur vom Benutzer einstellbar. Durch die Stimme aktivierbar, in Englisch, Spanisch, Französisch, Koreanisch und Japanisch. Molly, beweg dich!«
    Beseelt von jenem blinden Streben, das Julie bisher nur bei Penissen beobachtet hatte, richtete die künstliche Hand sich in ihrem Handschuh auf und krümmte sich.
    »Wie kommt ihr auf die Idee, daß ich mir

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