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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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erschießen sollte.«
    »Nein, ich hab das gesagt. Nicht er. Ich.«
    »Es ist mir gleich, von wem der Einfall stammt – es ist so oder so eine großartige Idee. Moms Gebeine sind auch noch drüben? Weißt du, was ich am liebsten tun würde, Katz? Jetzt gleich nach Jersey rüberfahren, den Bastard erschießen und diese Knochen heimholen. Jetzt gleich.«
    »Sei nicht verrückt, Phoebe. Das wär schlecht für das Baby.«
    »Ach, die Bergpredigt – bis zum bitteren Ende, nicht? Wenn dich einer in die rechte Arschbacke tritt, halt ihm auch die linke hin.«
    »Beruhig dich wieder, Phoebe.«
    »Wenn du die sterblichen Überreste hast, kannst du sie ordentlich bestatten. Was richtig Großes, mit Grabreden und Blumen und so. War nicht leicht für sie, mich großzuziehen.«
    »Ich weiß. Ich war dabei.«
    »Ist dir je aufgefallen, was ›Rache‹ für ein tolles Wort ist, Katz, wie es dir die Lippen auseinanderzieht, als ob du einen Löwen umblasen wolltest?« Phoebe zog die Lippen auseinander. »Rache, Honey. Laß uns diesen Milk erschießen!«
    »Du willst ein Begräbnis? Machen wir. Schön. Aber hör auf mit dem verrückten Zeug.«
    »Ich will ein Begräbnis.«
    Und so versammelten sich am nächsten Sonntag die vier Bewohner von Baring 3411 im Hinterhof unter der Sykamore, deren Blätter schon in den Farben des nahen Todes glühten: erdbeerrot, kürbisorange. Die Feier begann mit Phoebe, die ihre Worte an den Boden richtete und Georgina versicherte, ihre Tochter sei nun aus dem Schlamassel raus, und ein Enkel sei unterwegs. Irene steuerte ein paar Banalitäten der Art bei, daß jemand, der einen Menschen wie Phoebe so gut aufziehen könne, sicher eine besonders schöne unter Gottes vielen Wohnungen gefunden habe. Bix, als Priester der Kirche der Unbestimmtheit im selbstgewählten Ruhestand, stellte Betrachtungen darüber an, daß wohl Georgina sich nun mit der universalen Wellenfunktion vereinigt habe, Asche zu Asche, Quarks zu Quarks.
    »Amen«, sagte Julie.
    Dann das Begräbnis selbst, Bix und Julie gruben mit ihren Spaten ein Loch in den novemberlich harten Boden und versenkten darin eine gebraucht gekaufte Aussteuerkiste mit einem Lachsack, einem Scherzkissen, einem Muster Latex-Hundescheiße und einem voll funktionsfähigen Scherzgebiß mit vorstehenden Zähnen.
     
    Gefährlicher Ort, hatte die Hand geschrieben. Aber der Planet drehte sich weiter, folgte seiner Bahn und trug die Sperrholzstadt weg von der Sonne. Es kam der Dezember, der schlimmste seit Menschengedenken. Er fuhr auf Philadelphia hinab wie ein eisiger Meteorit, plagte die Stadt mit Eis, Schnee und Rekordkälte. Der grüne Tureen stand rund um die Uhr bereit, den bevorstehenden Winter mit Suppe zu bekämpfen. Für Milks Gemeinde waren Julie und ihre Anhänger schon immer Verkörperungen Satans gewesen; jetzt wurden sie in der Tat luziferisch, wurden ›Licht- und Wärmebringer‹: Sterno-Wärme, Coleman-Wärme; was sich überhaupt an Behelfswärmequellen auftreiben ließ. Wie Pop früher Flohmärkte und Gebrauchtwarenläden nach Büchern durchkämmt hatte, so durchstreifte Julie nun solche Läden auf der Suche nach Pelzmänteln, gebrauchten Decken, wollenen Fäustlingen, getragenen Skimützen und wiederverwendbarem Isoliermaterial. Die Wärme sollte ja auch bewahrt werden. Und wenn es die Mäntel, Decken und Fäustlinge in den Billigläden nicht mehr gab, ging Julie eben in die normalen Läden, bezahlte, wenn sie konnte, stahl, wenn nicht – Julie Katz, Robin Hood der Thermodynamik, raubte denen Wärme, die es warm, und gab denen, die es kalt hatten.
    »Gefährlicher Ort«, murmelte sie vor sich hin. Sie war dabei, mit Mohammed Chaudry eine Platte Corning-Isolierung an die Nordwand seiner Hütte zu nageln. Rosafarbenes, flockiges mit Glas durchsetztes Material; eine Art Candymasse aus Baumwolle.
    In einer Ecke saß Mohammeds elf Monate alte Tochter und gab Geräusche von sich – so ein Mittelding von Stöhnen und Keuchen. Der Kleinen klapperten die Zähne wie bei dem Scherzartikel, den sie auf Georginas Trauerfeier begraben hatten; Julie konnte das leise Geklapper deutlich hören.
    »Ich sollte hier weg«, flüsterte sie, aber das wurde vom Gewummer des Klauenhammers übertönt. Sie liebte das Gefühl des Hammers in ihrer Hand, diese unzweifelhafte Nützlichkeit und stählerne Harmonie. Ihr Bruder hatte sich auch mit Werkzeugen ausgekannt.
    Heute nacht, dachte sie, würde alles nichts nützen. »Genau zwanzig Grad« – eine junge, muntere Stimme aus

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