Die Eingeschworenen Raubzug
Richtige war. Für ihn und für Steinthor war die Straße der Wale das natürliche Element, als gehörten sie selbst zu den riesigen Tieren, nach denen sie benannt ist.
Er nahm eine volle Schale und zog einen Hornlöffel aus seinem Kittel. Hungrig schlürfte er die Suppe und kaute auf Knorpeln herum, die er schließlich zur Seite spuckte. Wir warteten, bis er fertig gegessen hatte, dann fragte Einar: »Nun, Geir Großnase?«
Großnase wischte sich den fettigen Bart ab und stopfte Fladenbrot in seinen Mund, das er mit einem Schluck
Wasser hinunterspülte. Dann rülpste er. »Zwanzig, vielleicht dreißig Reiter, diese kleinen Kerle, auf diesen kleinen Ponys. Sie reiten von Norden nach Osten und umkreisen uns.«
»Feinde?«, fragte jemand und Großnase schnaufte verächtlich.
»Blödmann! Jeder Reiter ist jetzt unser Feind.«
»Diese Arschlöcher auf ihren Hunden sind doch keine Krieger«, sagte Flosi abfällig und spuckte aus. »Die kann man sich mit einer Schweinsblase am Stock vom Leib halten.«
Großnase schüttelte besorgt den Kopf. »Wir sprechen uns wieder, wenn sie dich mit Pfeilen gespickt haben«, meinte er. »Wenn die mit dir fertig sind, siehst du aus wie ein Igel, dann schneiden sie dir deine kleine Blase und deinen Stock ab und stopfen sie dir in den Hals.«
Wieder gab es Gelächter und Flosi gab zu, dass sie mit Pfeil und Bogen umgehen konnten. Immerhin hatten wir alle gepolsterte Kotten, die man unter dem Kettenhemd trägt. Es war mühsam, sich darin zu bewegen, aber sie schützten einen vor Pfeilen, es sei denn, die kleinen Biester kamen einem zu nahe oder Loki sorgte dafür, dass man einfach Pech hatte. Ich trug das Kleidungsstück meines Vaters direkt auf der Haut, und das war mir ein Trost.
»Ist Steinthor schon da?«, fragte Großnase. Ketil Krähe schüttelte den Kopf und Großnase runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern und hielt seine Schale für einen Nachschlag hin. »Habt ihr den schon gehört, Jungs? ›Ich fliehe vor der Erde, auf dem Boden ist kein Platz für mich, auch an den Polen nicht …‹«
Seine Stimme breitete sich über mich wie eine Decke und ich döste ein, noch ehe ich die Antwort gehört hatte
– aber ich wusste sie schon und sie passte gut. Ich lag da und sah den Wolken zu, wie sie im Wind dahinjagten, bis mir die Augen zufielen und ich schlief, bis man mich unsanft weckte. Es ging wieder los.
Zwei Meilen weiter fanden wir Steinthor. Oder wenigstens seinen Kopf, der auf einem kurzen Speer steckte, mit wirrem Haar, den Bart von Blut verklebt. Ein großer, schwarzer Vogel hüpfte herunter und wischte sich unbekümmert mit schnellen Kopfbewegungen den Schnabel ab.
Sofort intonierte Illugi Godi ein Gebet, aber Sighvat, den wir den Denker nannten, schnaubte verächtlich.
»Das ist nur eine Krähe, eine große Saatkrähe«, sagte er. »Und gleich wird sie wegfliegen, und zwar gegen den Lauf der Sonne.«
Und wie zur Antwort breitete der Vogel, der sich Steinthors Augen geholt hatte, die Flügel aus und schwang sich schwerfällig nach links in die Luft.
Sighvat merkte, wie wir ihn anstarrten, und sah uns leicht verwirrt an. »Was ist denn? Die Krähen sind doch alle Linkshänder.«
»Krähen haben keine Hände«, erwiderte Ketil und starrte auf Steinthors zerfleischten Kopf.
Sighvat hielt seine Hände hoch. »Mit Händen hat das auch nichts zu tun«, sagte er. »Es passiert alles hier drin«, fuhr er fort und klopfte sich an den Kopf. »Was denkst du denn, warum sie dich Ketil Krähe nennen?«
Und das stimmte. Ketil war Linkshänder und deshalb im Kampf ein schwer einzuschätzender Gegner.
Großnase sagte gar nichts. Hilflos stand er neben dem Pfahl mit dem Kopf und sah sich nach allen Seiten um, weil er Steinthors Leiche suchte. Wir anderen schwärmten
aus und suchten ebenfalls, aber wir fanden nichts. Meine Vermutung war, dass er woanders getötet worden war und man lediglich seinen Kopf als Warnung für uns hierhergebracht hatte.
Illugi Godi und Großnase hoben den grausigen Fund vom Speer und wir begruben ihn. Es war ein trauriges Ende für jemanden wie Steinthor, und ich hörte noch tagelang seine Stimme mit der Geschichte, wie er mich bei dem weißen Bären gefunden hatte. In jener anderen Welt, in der ich einst ein Junge gewesen war, dessen größtes Abenteuer darin bestand, ein Möwennest mit vier Eiern zu finden. Danach zogen wir weiter, und als es dunkel wurde, erreichten wir den Fluss, aber Großnase wurde nicht mehr auf Erkundungsgänge
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