Die einsamen Toten
nichts, sondern blieb sitzen und sah ihn einen Moment lang nur an. Er war erleichtert, dass sie nicht versuchte, ihm etwas vorzumachen und ihm offen ins Gesicht zu lügen, wie er es bei so vielen Verhören in der West Street erlebt hatte. Deshalb zögerte er auch nicht, ihr zu erklären, was er dachte.
»Die würden auf dem Revier niemals die Privatadresse eines Polizeibeamten herausgeben«, sagte er. »Das ist Regel Nummer eins. Das hätten Sie eigentlich wissen sollen.«
Eine Sekunde lang glaubte er, sie würde zu lachen anfangen. Aber wieder huschte nur das spöttische kleine Lächeln über ihr Gesicht und war sofort wieder weg. Sie nickte und senkte den Blick. Ihre Schultern sanken nach vorne.
»Ich bin keine gute Lügnerin«, sagte sie. »Ich hätte es besser nicht versuchen sollen.«
»Wir haben viel Erfahrung mit guten Lügnern«, erklärte Cooper.
»Ja, das glaube ich.«
»Und?«
»Und was?«
»Wollen Sie mir die Wahrheit sagen?«
»Das sollte ich vielleicht besser tun«, meinte sie. Aber für Cooper, der nur auf ihren Tonfall hörte, hätte sie ebenso gut den Kopf schütteln und verneinen können. Im Gegensatz zu einigen seiner Stammkunden im Befragungsraum in der West Street hatte Angie Fry nur gelernt, mit Worten zu lügen. Sie beherrschte die Technik nicht, ihre Stimme und ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren, die Anspannung ihres Körpers zu überspielen und den Blick ihrer Augen zu verbergen. Cooper hatte weitaus bessere Lügner als Angie Fry erlebt. Viel bessere Lügner.
»Ich habe erfahren, dass Sie von einer Farm stammen, Ben. Und so habe ich in den Gelben Seiten nachgesehen und mir alle Bauern mit dem Namen Cooper rausgesucht. Aber irgendwie
kann ich mir nicht vorstellen, dass Di Interesse an der Landwirtschaft haben könnte.«
»Di?«
Wieder das spöttische Lächeln, sehr eindeutig dieses Mal. Cooper spürte, wie eine leichte Röte seinen Hals überzog. »Natürlich. Diane.«
»Als wir klein waren, waren wir immer Di und Angie füreinander.«
Cooper nickte. »Erzählen Sie weiter.«
»Na, und ich hatte sogar Glück. Die erste Nummer, bei der ich es versuchte, war zwar der falsche Cooper, aber gleich beim zweiten Cooper lag ich richtig. Bridge End Farm, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Und war das Ihr Vater, mit dem ich gesprochen habe?«
Völlig überrumpelt zuckte Cooper zusammen und presste seine Fingernägel in seine geballten Handflächen. Seine körperliche Reaktion auf jede unerwartete Erwähnung seines Vaters brachte ihn jedes Mal wieder in Verlegenheit.
»Ich nehme an, das war mein Bruder«, sagte er.
»Oh, richtig.« Sie zog leicht eine Augenbraue nach oben. »Ihr älterer Bruder, oder? Interessant.«
Ihr Lächeln ging ihm langsam auf die Nerven. Jedes Mal schien es sich ein wenig länger zu halten und sich ein wenig stärker über ihn zu mokieren.
»Ja, mein älterer Bruder. Was ist daran so interessant?«
»Keine Ahnung. Nur dieses Gerede über älterer Bruder und ältere Schwester und so. Kann ganz schön kompliziert sein, wie?«
»Weiß nicht«, erwiderte Cooper. Er hatte beschlossen, ihr nicht das geringste Detail über sein Privatleben zu verraten. Nur das, was sie ohnehin schon wusste.
»Wie auch immer. Ich habe mich als alte Freundin vom College ausgegeben, die Sie aus den Augen verloren hat. Ich wollte wissen, ob Sie noch auf dem Hof wohnen. Und Ihr Bruder
erzählte mir, dass Sie ausgezogen sind, und gab mir Ihre neue Adresse. Er ist Ihnen überhaupt nicht ähnlich. Er hat nicht misstrauisch auf mich reagiert. Daraus schließe ich, dass er kein Bulle ist.«
»Natürlich nicht. Er ist Farmer.«
Zumindest den Teil der Geschichte konnte er leicht bei Matt überprüfen. Die Bridge End Farm stand sicherlich in den Gelben Seiten, aber das hätte Angie sich auch ausdenken können. Und dass sie überhaupt wusste, dass er von einem Bauernhof kam... da gab es nur einen Menschen, der das Coopers Ansicht nach Angie Fry gesagt haben könnte. Und das ergab nicht den geringsten Sinn.
»Was haben Sie sonst noch über mich gehört?«, fragte er.
»Nicht sehr viel.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja. Was gibt es sonst noch über Sie zu wissen?«
»Nicht sehr viel. Aber ich wüsste zu gern, von wem Sie von mir erfahren haben.«
Sie beugte sich über den Kaffeebecher und senkte den Blick. »Ich habe mich umgehört. Sie sind doch bekannt wie ein bunter Hund.«
Der letzte Teil stimmte, das konnte Cooper nicht leugnen. Es gab zu viele Leute in Edendale, die alles über ihn
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