Die einsamen Toten
immer noch mit Postwurfsendungen von allen möglichen Firmen
bombardiert wurden. Die Erklärung des weiblichen Studiogastes hatte Fry die Augen geöffnet. Die Frau hatte gesagt: »Es gibt Mittel und Wege, den Tod eines Menschen zu annullieren.«
Fry überlegte, ob es eventuell eine Methode des Direktmarketings gab, die sie im Fall der Renshaws anwenden konnte. Gab es wirklich eine Möglichkeit, den Tod eines Menschen zu annullieren? Gab es eine Möglichkeit, den Geist Emma Renshaws zu bannen?
Wenn sie jetzt die Fotos betrachtete, begann Fry, etwas anderes darin zu sehen, etwas, das die Fotografen nicht auf den Film hatten bannen können. Sie hatte das Blut im Klatschmohn und den Moder im Gras gesehen. Jetzt sah sie die Knochen unter der Haut des Mädchens.
Die Gestalten bewegten sich. Sie schwankten ein wenig und nickten im Gleichklang mit ihren dunklen Köpfen. Es herrschte eine unnatürliche Stille. Ben Cooper war sich nicht sicher, ob sie ihn gesehen hatten. Wenn er ganz reglos verharrte, bemerkten sie ihn vielleicht nicht.
Er versuchte, sich zu erinnern, was hinter ihm war und ob sein Schatten darauf sichtbar wäre. Sicher, er stand vor den schwarzen Ziegeln der Waterloo Terrace, aber dann fielen ihm die vorhanglosen Fenster und das Licht ein, das aus zwei der Küchen fiel. Und da war ihm klar, dass er seine Anwesenheit ebenso lautstark hätte verkünden können.
Plötzlich machten die vier Gestalten einen Ausfallschritt und sprangen in die Luft. Mit Glockengebimmel und donnernden Stiefeln landeten sie wieder auf dem Boden. Dann verschwanden sie aus Coopers Blick unterhalb der dunklen Masse der Paletten, und ein gewaltiges Klappern setzte ein. Rhythmische Schläge von Holz auf Holz kamen auf ihn zu.
Cooper wich langsam zurück und versuchte zu erahnen, was sich vor ihm befand, während er nach der Öffnung im Zaun
hinter ihm tastete. Der Lärm war ohrenbetäubend und schreckte mit Sicherheit alle Bewohner der Waterloo Terrace auf. Langsam kam das Klopfen näher, untermalt vom Läuten der Glöckchen und heftigem Atmen. Doch die Gestalten waren in die Hocke gegangen und nicht länger als menschliche Wesen zu identifizieren. Sie hätten ebenso ein paar haarige Affen sein können, mit langen Armen und Beinen, die sich auf ihn zubewegten. Cooper roch den süßen Duft nach frischem Holz, als die Ecken der Paletten unter den Schlägen splitterten und brachen.
Plötzlich stieß Cooper hart gegen etwas Metallisches. Hatte er sich mit der Lücke im Zaun geirrt? War sie dreißig, vierzig Zentimeter weiter links? Die Hand nach hinten ausgestreckt, spürte er die harten, unnachgiebigen Enden der stählernen Gerüststangen. Eine unüberwindbare Barriere, und um sich damit zu verteidigen, dafür waren die Stangen zu groß.
Der Lärm änderte seine Tonart. Die Erde vibrierte, als die Waffen zu Coopers Füßen auf den Boden trafen. Hin und wieder erhaschte Cooper einen Blick auf eine reflektierende verspiegelte Sonnenbrille oder auf eine dunkle, zottelige Silhouette, während die Gestalten näher kamen im Takt einer Musik, die nur sie hören konnten.
Dann ging das Schreien los. Es war nur eine Stimme, die aber war für eine menschliche Stimme unnatürlich hoch. Es klang eher wie ein Schwein, das gerade abgestochen wurde. Cooper erstarrte bei diesem Geräusch und fühlte sich zum ersten Mal ernsthaft in Gefahr. Er spürte, wie etwas Schweres an seinem linken Bein vorbeisauste und den Boden traf, dann dasselbe rechts. Ein Doppelschlag wie von einem Presslufthammer ließ seine Beine erbeben. Kurz darauf folgten zwei weitere Schläge, jedes Mal zwei, drei Zentimeter näher an seinen Stiefeln.
Cooper bewegte seine Füße, als ihm klar wurde, dass er sich würde wehren müssen. In dem Moment bereute er es, nicht weiter das Training in dem Kampfsportstudio besucht zu haben,
obwohl es so bequem nahe an seiner Wohnung lag. Die Stunden waren ihm irgendwann mal wie ein leeres Ritual erschienen. Aber jetzt fühlte er sich plump und untrainiert und wünschte, er könnte die Energie und Geschmeidigkeit aufbringen, die ihn aus dieser misslichen Lage befreien würde.
Wegen des Schreiens war es so, dass er den nächsten Schlag fast auf seinen Zehen spürte, statt ihn nur zu hören. Er wusste, dass er kurz davor war, verletzt zu werden. Verzweifelt trat er mit dem Fuß in die Richtung, wo er einen Arm vermutete, und wurde von einem Aufprall und einem erstaunten Grunzen belohnt. Mittlerweile erahnte er den Rhythmus und wusste,
Weitere Kostenlose Bücher