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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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verloren, sie verteilte sich nur auf die Welt und nahm neue Formen an. Im Friedhof von St. Asaph schien sie sich als Brombeeren, Disteln, Farne und Löwenzahn immer wieder neu zu materialisieren. Als all das, das grün und feucht war und schneller wuchs, als Alton ihm Herr werden konnte.
    Der Pfarrer seufzte bei diesen Gedanken. Vor seiner Ankunft in Withens und Hey Bridge waren sie ihm nie in den Sinn gekommen. Das war ihm nicht zu verdenken, und nicht einmal der Bischof machte ihm einen Vorwurf. In Withens wurde immer noch gestorben, nur hatte es während seiner Zeit im Dorf weder eine Hochzeit noch eine Taufe gegeben. Die Leute schienen nichts dagegen zu haben, schwarze Trauerkleidung zu tragen. Aber weiße Hochzeitskleider, Taufkleidchen, Brautjungfern in pastellfarbenen Satinroben und bunte Blumen im Knopfloch – da machten sie nicht mehr mit. Das wäre ihnen doch zu frivol erschienen.
    Alton zerrte an der verfilzten Pflanzendecke, die sich als riesige Matte zu lösen begann. Bleiche Wurzeln baumelten an der Unterseite, und an den dünnen, weißen Ranken hingen Brocken torfiger Erde, die auf den Boden zurückrieselten. Alton
stellte fest, dass er ein großes Areal freigelegt hatte, das seit Monaten kein Tageslicht mehr gesehen hatte. Eine Unmenge wimmelnder Insekten beeilte sich, in die rettende Dunkelheit zu flüchten, und von den Brombeerhecken fielen kleine Schnecken auf den Boden.
    Alton war nicht klar gewesen, wie flach die Torfschicht war, die den Friedhof bedeckte, aber hier und da schien der felsige Grund durchzuschimmern. Ein Wunder, dass man überhaupt die Särge tief genug hatte beerdigen können. Vielleicht waren die riesigen Platten deswegen waagrecht ausgelegt, um die Tatsache zu verschleiern, dass die Gräber flach und nicht sechs Fuß tief waren, wie es die Tradition wollte.
    Aber dann kniff Alton die Augen zusammen. Er wusste genau, dass das Fundament hier aus Sandstein und nicht aus Kalkstein bestand, wie weiter südlich im White Peak. Die Felssohle unter dem Torf sollte dunkel und nicht hellgrau sein wie dieser Klumpen, der zwischen Insekten und Schnecken herausragte.
    Er nahm die Stelle näher in Augenschein und entdeckte dabei weitere graue Formen, die auf der Oberfläche sichtbar wurden. Da waren gebogene Bänder wie die Gitter eines Käfigs, daneben ein flache, schaufelartige Platte. Und da waren dunkle Löcher in dem Gegenstand, den er ursprünglich für einen Stein gehalten hatte und der ihn aus dunklen Höhlen anklagend anstarrte.
    »Nein!«
    Ohne nachzudenken, warf er die verfilzte Pflanzendecke wieder zurück und bedeckte die Knochen, die er freigelegt hatte. Als könnte er ihre Existenz auslöschen, wenn er sie den Augen der Welt verweigerte. Alton verzog das Gesicht und wünschte sich, er könnte die Knochen durch die reine Kraft seiner Gedanken zu Staub zerfallen lassen.
    »O Gott«, stöhnte er. »O Gott, warum tust du mir das an?«

28
    U m Himmels willen, schaffen Sie die Leute da weg«, sagte Inspector Hitchens.
    Zwei uniformierte Polizisten traten umgehend in Aktion. Ben Cooper hatte die kleine Gruppe nicht bemerkt, die sich auf der anderen Seite der Friedhofsmauer eingefunden hatte. Er sah einige der Oxley-Jungen darunter, auch ihre Nachbarin, Mrs Wallwin. Und ganz hinten in der Gruppe stand Fran Oxley. Im Gegensatz zu den anderen schaute sie nicht auf die Knochen in der Erde, sondern sah zu Cooper hinüber. Ihre Blicke trafen sich, und er fragte sich, was sie ihm mitzuteilen versuchte. Von allen Oxleys war sie diejenige, die noch am ehesten so etwas wie Kommunikation zugelassen hatte. Doch selbst Fran konnte nicht direkt mit ihm sprechen und ihn wissen lassen, was sie wusste. Cooper war ein Außenseiter. Und diese Grenze konnte sie nicht überschreiten.
    »Wo ist der Pfarrer?«, wollte Hitchens wissen. »Mr Alton, richtig?«
    »Er ist drinnen, Sir.«
    »Schauen Sie mal nach, ob er schon eine Aussage machen kann.«
    Cooper fiel auf, dass der Efeubewuchs an der Kirchenmauer irgendwann zurückgeschnitten worden war. Der Efeu hatte sich die Dachrinnen entlanggerankt und über das ganze Dach ausgebreitet in Richtung First, wo dem Wildwuchs jäh ein Ende gesetzt worden war. Wäre man nicht eingeschritten, wäre der Efeu auch über den First und auf der anderen Seite wieder hinuntergewachsen, bis die ganze Kirche überwuchert gewesen wäre. Aber ungefähr einen Meter unterhalb der Dachrinne waren
die Ranken des Efeus brutal abgehackt und die Triebe abgerissen worden, die sich am

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