Die einsamen Toten
passiert ist.«
»Sind Sie Mr Altons Vorgesetzter?«
»Nun, wir sind alle Angestellte Gottes. Aber ich bin so eine Art Aufsichtspersonal von seinen Gnaden.«
Fry blinzelte, als wollte sie einen lästigen Fleck vertreiben, der ihre Sicht trübte.
»Können Sie uns sagen, wann Mr Alton nach St. Asaph kam?«, fragte sie.
»Ungefähr vor achtzehn Monaten.«
»Und hat er die Stelle direkt von seinem Vorgänger übernommen?«
»Nein, es gab eine Art Interregnum.«
»Eine was?«
»Das ist die Zeit zwischen zwei Amtsinhabern. Leider kommt das heutzutage häufiger vor. Der Klerus hat Nachwuchsprobleme. Es kann manchmal lange dauern, bis die richtige Person für eine Gemeinde gefunden ist.«
»Vor allem hier in Withens und Hey Bridge, könnte ich mir vorstellen.«
»Der Posten hier stellt in der Tat gewisse Anforderungen.«
»Wie lange war die Pfarrstelle frei?«
»Ich denke, so um die zwölf Monate. Der vorherige Amtsinhaber erkrankte schwer und musste in den Ruhestand gehen, der arme Mann.«
»Wir werden mit ihm reden müssen.«
»Das dürfte nicht möglich sein, fürchte ich.«
»Es ist sehr wichtig, einen Zeitraum zu definieren, wann die Möglichkeit bestand, eine Leiche im Friedhof zu begraben. Der vorherige Pfarrer könnte womöglich etwas Licht in die Sache bringen.«
»Schon möglich. Aber ich muss Ihnen leider sagen, dass der arme Reverend Clater deswegen in den Ruhestand ging, weil man fortgeschrittenen Prostatakrebs bei ihm entdeckt hatte. Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Er ist letztes Jahr verstorben.«
»Zur Hölle aber auch.«
»Ich hoffe nicht«, meinte der Dekan mit einem traurigen Lächeln.
Fry schaute ihn verwirrt an.
»Und während dieses Interregnums... hat sich da niemand um St. Asaph gekümmert?«
»Es fanden Gottesdienste statt, aber die wurden von Gastpfarrern aus anderen Pfarreien abgehalten. Manchmal auch von einem Priester im Ruhestand, der in Glossop wohnt. Aber ich fürchte, eine durchgehende seelsorgerische Betreuung gab es nicht.«
»Und die Kirchenvorsteher scheinen sich auch nicht allzu viel Mühe mit der Pflege des Friedhofs gemacht zu haben.«
»Traurigerweise nicht. Aber es ist leider schwierig, die Menschen für so etwas zu begeistern.«
»Mr Alton ist in der Kirche. Er freut sich sicher, Sie zu sehen.«
»Danke.«
Kaum hatte Ben Cooper die Kirche verlassen, hörte er, wie jemand seinen Namen rief.
»Was ist hier los?«
»Oh, Mr Dearden – nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten.«
»Wenn es etwas mit der Kirche zu tun hat, schon. Ich bin einer der Kirchenvorsteher. Ist Derek was passiert?«
»Nein, Mr Alton ist zwar noch etwas mitgenommen, aber sonst geht es ihm gut.«
»Was haben sie denn jetzt schon wieder angestellt?«
»Wer?«
»Na, die Oxleys. War es dieser kleine Teufel, dieser Jake? Er zündelt für sein Leben gern, aber bisher konnte ihm keiner an den Kragen, weil er noch keine zehn Jahre alt ist. Wie oft habe ich Politiker sagen hören, dass niemand außerhalb des Gesetzes steht. Wie ein Mantra wiederholen sie diese Beteuerung, als sollten uns allein die Worte beruhigen. Aber das stimmt doch hinten und vorne nicht. Ein Kind unter zehn Jahren kann nicht verurteilt werden, ganz gleich, was es angestellt hat. Kinder stehen außerhalb des Gesetzes.«
Cooper dachte an Craig Oxley, der sich in seiner Zelle in der Jugendstrafanstalt von Hindley erhängt hatte. Wo war die Schnittmenge zwischen jenen, die der Ansicht waren, junge Menschen gehörten hinter Schloss und Riegel, ganz gleich, in welchem Alter sie straffällig wurden, und den anderen, die glaubten, man sollte sie überhaupt nicht einsperren? Viel mehr Möglichkeiten gab es nicht. Sorgerechtsverfahren bei strafunmündigen Jugendlichen hatten meistens zur Folge, dass sie ihren Eltern weggenommen wurden. Doch mit Vollendung des zehnten Lebensjahrs mutierten sie automatisch zu Kriminellen. Die Grauzone zwischen dem Alter von zehn und vierzehn Jahren existierte nicht mehr. Früher musste zweifelsfrei bewiesen werden, dass das Kind seine Handlungen verstand und wusste, dass es etwas Falsches tat. Die Unschuldsvermutung zu seinen Gunsten war von der neuen Gesetzgebung bereits vor fast fünf Jahren abgeschafft worden.
Michael Dearden beobachtete ihn. Er schien in Coopers Miene offensichtlich eine gewisse Sympathie für seine Ansichten zu erkennen.
»Vor einiger Zeit habe ich mal gelesen«, fuhr Dearden fort, »dass die Regierung plant, bekannte Pädophile
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