Die einsamen Toten
ist doch lächerlich«, meinte sie.
»Es tut mir Leid«, entgegnete Howard.
Aber Fry hätte nicht zu sagen gewusst, ob er sich tatsächlich für sein Benehmen entschuldigte oder ob er einfach nicht verstanden hatte, was sie meinte. Außerdem war es ihre eigene Schuld. Sie hätte zuvor alles überprüfen sollen, statt das für bare Münze zu nehmen, was die Renshaws sagten.
»Wann hat Emma diesen Wagen zuletzt gefahren?«, fragte sie.
»Sie benutzt ihn nur, wenn sie von der Uni nach Hause kommt.«
Fry biss die Zähne zusammen und versuchte, ruhig zu bleiben.
»Mr Renshaw, Ihre Tochter ist seit über zwei Jahren nicht mehr von der Universität nach Hause gekommen. Wann ist sie zuletzt mit diesem Wagen gefahren?«
Sie sah seinen Adamsapfel auf und ab hüpfen, als er schluckte. Er fing ein wenig zu schwitzen an. »Das müsste in den Weihnachtsferien gewesen sein«, antwortete er. »Emma war für drei Wochen zu Hause, über Weihnachten und Neujahr. Wir haben Weihnachten als richtige Familie zusammen gefeiert, nur wir drei am ersten Feiertag. Am zweiten Weihnachtsfeiertag und an Silvester war sie mit Freunden unterwegs. Da hat sie den Wagen genommen, denke ich.«
»Ich verstehe.«
»Ich habe mir sehr viel Mühe mit dem Weihnachtsessen gemacht«,
sagte Sarah. »Wir haben wochenlang an den Baum und die Dekoration hingearbeitet und Monate gebraucht, um alle Geschenke zu kaufen. In dem Jahr haben wir Emma sehr viel zu Weihnachten geschenkt. Wahrscheinlich, weil sie die meiste Zeit des Jahres nicht bei uns war. Da hatten wir einfach das Gefühl, ihr verstärkt zeigen zu müssen, wie sehr wir sie liebten, wenn sie mal zu Hause war. Vielleicht haben wir Emma ein bisschen verwöhnt, ich weiß es nicht. Aber ich bin froh, dass wir es getan haben. Es war das letzte Mal, das letzte Weihnachten mit ihr.«
Je länger sie zuhörte, wie Mrs Renshaws Stimme in der halb leeren Garage leiser und leiser wurde, desto stärkere Schuldgefühle empfand Fry wegen ihrer Ungeduld und Gereiztheit. Sie fühlte sich, als hätte sie die Träume der Renshaws mit Füßen getreten, indem sie darauf hinwies, dass es über zwei Jahre her war, dass sie ihre Tochter das letzte Mal gesehen hatten.
»Es tut mir Leid, Mrs Renshaw«, sagte sie. Sie wusste, dass dies keineswegs genügte. Aber etwas anderes fiel ihr nicht ein.
Schweigen legte sich über sie, während Fry sich den Wagen ansah.
»Natürlich wird es kommende Weihnachten noch mehr Geschenke für Emma geben«, sagte Sarah.
Und jetzt schwang wieder Leben in ihrer Stimme mit. Der optimistische Ausklang ihres Satzes ließ Fry frösteln.
»Was?«
»Wir haben natürlich alle für sie aufgehoben«, erklärte Sarah. »Das leere Zimmer ist von oben bis unten voll. Das wird eine Überraschung für Emma an Weihnachten. Sie wird gar nicht mehr wegwollen, wenn sie sieht, wie lieb wir sie haben.«
Fry starrte Sarah Renshaw an, bis sie es nicht länger ertragen konnte. Es war, als würde sie jemandem zusehen, der versucht, aufzustehen und davonzugehen, nachdem eine Bombe seine Beine zerfetzt hat, und der dabei noch hoffnungsvoll lächelt. Der Anblick war zu schmerzhaft, und Fry wandte sich ab.
»Mr Renshaw, haben Sie die Schlüssel zu dem Wagen?«, fragte sie.
Eng aneinander gedrängt hockten sie unbequem auf Autositzen, die aus irgendeinem Autowrack stammten. Zumindest hoffte Derek Alton, dass der Wagen herrenlos war, bevor die Sitze herausgerissen worden waren. Die Autositze waren mit den Sicherheitsgurten an die Seitenstreben des Pritschenwagens gebunden und relativ stabil verankert; nur wenn der Wagen um eine Kurve fuhr, rutschten und schlitterten sie gegeneinander. Alton war an eine der Metallschnallen des Sicherheitsgurts geschleudert worden. Seine Schulter schmerzte. Morgen früh würde sich dort ein hässlicher blauer Fleck ausbreiten. Er bekam leicht blaue Flecken. Das hatte seine Mutter schon immer gesagt, als er noch ein Kind war.
»Wohin fahren wir?«, fragte Alton.
»Ein bisschen Praxis bekommen, Herr Pfarrer.«
Alton warf einen Blick in die Runde der restlichen Border Rats. Ihm gegenüber saßen Scott Oxley und sein Bruder Ryan, rechts und links neben ihm Sean und Glen. Zwei Männer aus Hey Bridge, die er nicht kannte, hatten sich ganz vorne auf die Plätze an der Fahrerkabine gequetscht, in der Eric neben seinem Sohn auf dem Beifahrersitz mitfuhr. Die ganze Truppe war in voller Montur, mit Zylinderhüten, schwarzer Schminke und verspiegelten Sonnenbrillen. Sie hatten ihre
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