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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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Stelle auf seinem Kopf betrachtet und sich gefragt, ob sie nicht schon zu groß war, um sich noch die Mühe zu machen, die wenigen Haare darüber zu kämmen. Und Sarah wäre turnusmäßig an der Reihe gewesen, die Präsidentschaft des örtlichen Frauenverbands zu übernehmen. Wahrscheinlich hatte sie bereits Veranstaltungen für das vor ihr liegende Jahr geplant und sich überlegt, wie viel Geld sie für neue Garderobe ausgeben konnte.
    Eines war sicher. Beide hatten sich darauf gefreut, dass ihre Tochter über die Osterferien von der Universität nach Hause kommen würde. Sie hatten für den nächsten Abend sogar ihre Freunde und Nachbarn Michael und Gail Dearden zum Abendessen eingeladen, damit sie Emmas Fortschritte bewundern konnten.
    Doch jetzt hatten sich die Renshaws zu zwei skurrilen Außenseitern entwickelt, die – wie Fry selbst gesehen hatte – ein wenig zu oft bedeutungsvolle Blicke tauschten, zu schnell aufbrausten, zu übergangslos mit plötzlichem Erröten und übertriebener Begeisterung, gefolgt von Niedergeschlagenheit und Tränen, reagierten.

    Aber den Akten war auch zu entnehmen, dass sie sich in den vergangenen vierundzwanzig Monaten zu einer regelrechten Landplage entwickelt und die Polizei mit Theorien, Vorschlägen, Bitten, Forderungen, Briefen und Anrufen bombardiert hatten. Jeden Polizeibeamten, dessen Namen sie ausfindig machen konnten, hatten sie Dutzende Male persönlich aufgesucht. Immer wieder hatten sie gemeldet, es seien junge Frauen gesehen worden, die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter besaßen. Und zum größten Ärger der Dienststelle waren sie mehrere Male von der Verkehrspolizei aufgegriffen worden. Sie hatten mitten auf der Straße gestanden, die Autofahrer belästigt und den Leuten peinliche Fragen gestellt. Zweimal hatte man die Renshaws sogar aufs Revier gebracht und sie quasi abgemahnt.
    Und jetzt redeten sie von Führung. Wie es sich herausstellte, meinten sie damit die Anweisungen eines so genannten Hellsehers, den sie konsultiert hatten. Er gab ihnen Ratschläge, wo sie nach Emma suchen und an welchen Straßen sie zu welchen Zeiten stehen sollten – in der Hoffnung auf eine wundersame Begegnung. Fry schüttelte sich bei dem Gedanken an diesen Menschen, der sich an dem Paar bereicherte und skrupellos ihren Glauben ausnutzte.
    Die Renshaws waren immer noch ein nettes Mittelklassepaar in mittleren Jahren mit Haus und Wohnwagen. Nur eine Tochter hatten sie nicht mehr. Sie schienen in einer Art Parallelrealität zu leben, in der Emma am Leben war und einfach ein wenig später den Zug von Birmingham aus nehmen wollte. Zwei Jahre später.
     
    Diane Fry ließ die Akten aufgeschlagen auf dem Schreibtisch liegen und trat ans Fenster. Vom obersten Stockwerk der Zentrale der Division E in West Street konnte sie einen Teil der Tribünen des Fußballplatzes und die Dächer der Häuser sehen, die sich den Hang hinunter Richtung Stadtzentrum von
Edendale zogen. Alles wirkte merkwürdig sauber und frisch, was nur daran lag, dass die Schieferdächer noch nass von den morgendlichen Regengüssen waren. Die Feuchtigkeit reflektierte auch noch die diffusesten Sonnenstrahlen, welche die graue Wolkendecke durchdrangen. Ein bisschen Licht konnte sehr trügerisch sein.
    Fry erschauderte, aber nicht wegen des Anblicks, der sich ihr bot. Eine Frage hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt. Kann man Angst bannen, indem man die Realität einfach ignoriert? Vielleicht hing es davon ab, ob man je gezwungen war, die Realität als solche zu akzeptieren. Howard und Sarah Renshaw schienen alles zu tun, um die Realität zu verleugnen, dass ihre Tochter mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben war. Und sie, Diane Fry, war es, die sie eventuell dazu zwingen musste, sich dieser Wirklichkeit zu stellen.
    Ausgerechnet sie. Wie konnte sie nur darüber reden, sich der Wirklichkeit zu stellen? Seit Jahren hatte sie ihre eigene Technik, genau das Gegenteil davon zu tun und ihre Angst zuzuschütten, perfektioniert. Ihre eigene Realität bestand aus einer Schwester, die sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, seit Angie damals als Teenager das Haus ihrer Pflegeeltern im Black Country verlassen hatte und seit der brutalen Vergewaltigung, die zu ihrer Versetzung von den West Midlands nach Derbyshire geführt hatte. Und es gab Vorfälle in ihrer frühen Kindheit, an die sie erst recht nicht zu rühren wagte. Schwer zu sagen, was die genaue Ursache ihrer Angst war.
    Ihr Therapeut hatte ihr erklärt, dass

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