Die einsamen Toten
ich dachte nicht, dass was nicht stimmt. Ich dachte nicht …«
Granger hielt inne. Er schien das Bedürfnis zu verspüren, einige seiner Aussagen noch einmal zu wiederholen. Aber nur die Dinge, die ihn betrafen. Vielleicht waren das die einzigen Fakten, deren er sich sicher war. Und den Rest konnte er einfach nicht glauben.
»Den Nachbarn nebenan war die Sache scheißegal«, sagte er.
»Kam Ihr Bruder nicht gut mit ihnen aus?«
»Ich glaube, sie hatten ein neutrales Verhältnis. Aber mich konnten sie nicht ausstehen, weil ich immer mit dem Motorrad kam.«
»Sie wohnen nicht weit weg, nicht wahr?«
»Ich wohne in Old Glossop, zusammen mit ein paar Kumpeln.«
Hitchens warf Cooper einen raschen Blick zu.
»Das sind ungefähr fünf oder sechs Meilen, richtig? Dann wohnen Sie wirklich nur ein paar Minuten entfernt.«
»Das kommt auf den Verkehr an.«
»Es muss für Sie beide eine ziemliche Umstellung gewesen sein, als Sie von Withens wegzogen«, meinte Cooper. »Dort hatten Sie jede Menge Familie und Verwandtschaft in direkter Nähe.«
»Wir wohnten in der Waterloo Terrace neben unserem Onkel und unserer Tante. In Nummer sieben.«
»Nummer sieben?«, fragte Cooper überrascht.
»Ja, wieso?«
»Aus irgendeinem Grund dachte ich, es müsste die Nummer acht gewesen sein. Das leere Haus.«
»Das Haus steht schon lange leer«, erklärte Granger. »Aber wir wohnten in Nummer sieben. Mein Onkel hatte das mit dem Vermieter geregelt.«
»Dann wohnt Mrs Wallwin also erst seit ein paar Monaten dort?«
Granger sah ihn verwirrt an. »Wer?«
»Die Frau, die jetzt in Nummer sieben wohnt.«
»Aha.«
Inspector Hitchens räusperte sich ungeduldig.
»Ich bin sicher, Sie haben noch jede Menge zu erledigen, Mr Granger. Aber bevor Sie gehen, muss ich Ihnen noch eine weitere Frage stellen.«
Hitchens holte die Bronzebüste aus dem Beweismittelbeutel hervor. Granger streckte die Hand aus, um die klare Plastikfolie glatt zu streichen, machte aber keinen Versuch, die Büste selbst zu berühren.
»Erkennen Sie das, Sir?«
»Nein. Tut mir Leid«, antwortete Granger.
»Erinnern Sie sich an ähnliche Gegenstände im Besitz Ihres Bruders?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Aber Sie kennen sich in seinem Haus doch aus? Sie wissen, was sich dort befindet? Waren Sie kürzlich dort? Vor seinem Tod, meine ich.«
»Vor ein paar Tagen, ja.«
»Haben Sie etwas Ähnliches wie das hier gesehen?«
»Nein, ist mir nicht aufgefallen. Es hätte auch nicht hingepasst.«
»Hat Ihr Bruder das vielleicht als Geschenk für jemanden gekauft, was meinen Sie? Für eine Freundin? Gibt es jemanden in seinem Leben, der Antiquitäten liebt?«
»Ganz sicher nicht. Das hier gehört Neil bestimmt nicht. So etwas würde er nicht in seinem Haus haben. Ich kann mich nicht erinnern, es gestern dort gesehen zu haben -«
»Das ist auch nicht möglich, Sir.« Hitchens legte den Beutel mit zufriedener Miene beiseite. »Das war im Wagen Ihres Bruders.«
Granger schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat Neil es gefunden? Oder es hat ihm jemand gegeben. Kann doch sein.«
»Das ist höchst unwahrscheinlich, Sir. Soweit wir wissen, ist die Büste ziemlich wertvoll.«
»Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
Hitchens stand auf und schüttelte Granger die Hand. »Im Gegenteil, Sir«, sagte er. »Sie waren uns eine große Hilfe.«
Diane Fry betrachtete die Tatortfotos, vor allem die Aufnahmen mit der am Fuß des Luftschachts liegenden Leiche.
Laut Mrs Van Doon war der Kopf von Neil Granger wie ein Blumentopf aus Ton zertrümmert worden. Oder vielleicht wie eines dieser Schokoladenostereier, die alle Kinder noch vor ein paar Wochen gegessen hatten. Ein Teil seiner Kopfhaut war aufgerissen, der darunter liegende Knochen war zerschmettert und hatte die Membran zerfetzt, die das Gehirn umhüllte. Aus dem Riss war Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit auf die Steine gesickert, die bereits voller Blut waren, das aus Grangers Kopfwunde strömte.
Auf den Fotos konnte Fry sehen, dass das Blut Grangers Haar verklebt hatte und über Gesicht und Hals geflossen war, bis es schließlich die Steine verfärbt und im Boden versickert war. Sein Leben war im Torf verronnen.
In gewisser Weise hatte Neil Glück gehabt. Nach dem ersten Schlag auf den Kopf hatte er das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Er hatte nicht mitbekommen, was später geschah. Wie die Krähen neben ihm landeten und näher an sein Gesicht heranhüpften. Er hatte nicht gespürt, wie ihre Schnäbel auf
seine
Weitere Kostenlose Bücher