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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Titel: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Sillitoe
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ich wußte, ich war beim Reinkommen weiß wie eine Kalkwand geworden, als ob mich ein Dracula-Vampir in die Mache gekriegt hätt, und sogar mein Penny-Billard-Gewinn verhielt sich vorsätzlich still.

    Der Gunthorper holte mich beinahe ein. In der Brombeerhecke sangen Vögel, und zwei Drosseln flogen wie der Blitz in Dornbüsche. Auf dem Nachbarfeld stand das Getreide hoch und würde bald mit Sense und Mähmaschine geschnitten werden; aber ich hab beim Laufen nie viel sehn wollen, weil's mich vielleicht aus dem Tempo bringt; deshalb nahm ich mir beim Heuschober vor, keine Obacht mehr zu geben, und legte trotz der Nägel in meinen Eingeweiden einen solchen Spurt ein, daß ich nach einer kurzen Weile den Gunthorper und die Vögel ein ganzes Ende hinter mir hatte; die letzten anderthalb Meilen schnitt ich jetzt fast so an wie ein Messer die Margarine, aber die Stille, in die ich nun plötzlich zwischen zwei Holzpfählen trabte, war wie unter Wasser, wenn ich die Augen aufmach und mir die Kiesel auf dem Grund des Flusses anschau, was mich nun noch mal daran erinnerte, wie ich den Morgen wieder in unser Haus komm, in dem mein Vater ausgekrächzt hatte; was doch komisch ist, weil ich nie mehr dran gedacht hatte, seit's passiert war, und selbst da hatt ich nicht viel darüber gegrübelt. Ich möcht mal wissen, wieso. Ich vermute, seit ich bei diesen Langstreckenläufen angefangen hab nachzudenken, taucht in meinen Gedanken ganz einfach alles mögliche auf und quält meine Kaidaunen und Innereien, so daß ich jetzt, wo ich in meiner blöden Läuferbirne hinter jedem Grashalm meinen blutüberströmten Papa seh, nicht mehr so sicher bin, ob ich gern nachdenke und daß Nachdenken eben was Gutes ist. Ich würge meinen Schleim runter und lauf jedenfalls weiter und verfluche die Borstal-Erbauer und ihren Sport - flappetiflap, slopslop, knirschslipknirschslipknirschslip -, die mir's vielleicht gleich von Anfang an zurückgezahlt haben, indem sie mir bunte Laternamagica-Bilder in meine Einbildung geschoben haben, die noch nie eine Chance nutzen konnte. Nur wenn ich alles, wie's kommt, so spielend leicht nehme, kann ich weiter so weitermachen, wie ich's gewohnt bin, und zurückschlagen; und wo ich mit den Gedanken so weit gekommen bin, weiß ich, daß ich knirschlippigen Endes gewinnen werde. Also stieg ich jedenfalls nach einer kurzen Weile rauf, Stufe für Stufe, ohne dran zu denken, wie ich Papa finden würde und was ich dann tun sollte. Aber jetzt mache ich das wieder gut und lasse sein ganzes Leben an mir vorüberziehn, das ihm Mama zur Hölle gemacht hat, solange ich zurückdenken kann, denn sie hatte verschiedene Männer, sogar wie er noch lebte und in Form war, und sie hat sich nicht drum geschert, ob er's wußte oder nicht, und die meiste Zeit über war er nicht so blind, wie sie glaubte, und er hat geflucht und gebrüllt und gedroht, daß er ihr den Hintern versohlt, und ich mußte dazwischenspringen und ihn dran hindern, obwohl ich wußte, daß sie's verdient hätt. Das war ein Leben für uns alle. Na, ich beschwere mich ja nicht, denn sonst könnt ich ja gleich diesen beschissenen Wettlauf gewinnen, was ich nicht tun werde, doch wenn ich nicht mein Tempo drossele, gewinn ich noch, eh ich weiß, wo ich bin, und wo war ich dann?

    Jetzt kann ich den Lärm und die Musik vom Sportplatz hören, wie ich wieder auf die Flaggen und die Zufahrtsstraße lossteuere mit dem frischen, neuen Gefühl, Kies unter den Füßen zu haben, das bis in die eisernen Beinmuskeln geht. Ich bin auch nicht annähernd ausgepumpt, trotz dem Sack Nägel, der noch genauso rasselt, und ich kann immer noch einen großen letzten Sprung wie ein Sturmwind machen, wenn ich will, aber ich habe mich ganz in der Gewalt und weiß jetzt, daß es in England keinen Langstreckengeländelaufläufer gibt, der an mein Tempo und meinen Stil rankommt. Unser zittriger Dreckskerl von Direktor, unser halbtoter, modriger Obermotz, ist hohl wie ein leerer Benzinkanister, und er will, daß ich ihm mit meinem Läuferleben Ruhm verschaff, Blut und pochende Adern in ihn reinsteck, die er nie gehabt hat, will, daß seine glucksbäuchigen Genossen Zeuge werden, wie ich keuchend durch sein Ziel stolper, damit er sagen kann: »Den Pokal kriegt mein Borstal, seht ihr. Die Wette gewinn ich, weil's sich auszahlt, wenn man ehrlich ist und sich Mühe gibt, die Preise zu holen, die ich meinen Jungs aussetze, und das wissen sie, haben sie schon immer gewußt.« Und seine Kumpel werden

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