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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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süßen Sog den Atem. »Vielleicht habe ich es noch nicht erwähnt, aber was erste Schritte angeht, bin ich ein Experte.«
    »Ach ja? Dann verrat mir doch mal, wie das geht.«
    »Du schließt die Augen«, antwortete Coop, »und springst.«
    Ich holte tief Luft und erhob mich. »Die Verteidigung ruft Samuel Stoltzfus in den Zeugenstand.«
    Es gab leises Gekicher und verstohlene Blicke, als Samuel mit einem Gerichtsdiener hinten im Saal erschien. Schrecklich fehl am Platz, dachte ich, während ich zusah, wie der große, kräftige Mann zum Zeugenstand stapfte, das Gesicht kalkweiß vor Angst, in den Händen seinen schwarzen Hut, den er unablässig nervös drehte.
    Ich wußte von Katie und Sarah und durch die Gespräche beim Abendessen, was Samuel auf sich nahm, um in dem Prozeß auszusagen. Obwohl die amische Gemeinde mit dem Gesetz kooperierte und auch gerichtliche Vorladungen befolgte, so war es ihren Mitgliedern doch verboten, von sich aus eine Klage einzureichen. Samuel, der sich aus freien Stücken als Leumundszeuge für Katie zur Verfügung gestellt hatte, hatte sich zwischen alle Stühle gesetzt. Die Gemeindevorsteher hatten seine Entscheidung zwar nicht beanstandet, doch einige Mitglieder waren von seiner freiwilligen Annäherung an die englische Welt nicht gerade angetan.
    Der Gerichtsdiener, ein Mann mit spitzem Gesicht, der nach Kaugummi roch, ging mit der Bibel zu Samuel. »Bitte heben Sie die rechte Hand.« Er schob das abgegriffene Buch unter Samuels linke Handfläche. »Schwören Sie, die Wahrheit zu sagen, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr Ihnen Gott helfe?«
    Samuel riß seine Hand von der Bibel, als hätte er sich verbrannt. »Nein«, sagte er entsetzt. »Das tue ich nicht.«
    Ein Raunen lief durch die Reihen der Zuschauer. Die Richterin ließ zweimal ihren Hammer knallen. »Mr. Stoltzfus«, sagte sie freundlich, »mir ist klar, daß Sie mit den Gepflogenheiten eines Gerichts nicht vertraut sind. Aber das ist hier durchaus üblich.«
    Samuel schüttelte heftig den Kopf und sah mich flehend an.
    Richterin Ledbetter murmelte etwas, das sich anhörte wie: »Warum ausgerechnet ich?« Dann winkte sie mich zu sich. »Ms. Hathaway, vielleicht möchten Sie dem Zeugen kurz den Ablauf erklären.«
    Ich ging zu Samuel und legte ihm eine Hand auf den Arm, drehte ihn von den Augen der Zuschauer weg. Er zitterte. »Samuel, wo liegt das Problem?«
    »Wir beten nicht in der Öffentlichkeit«, flüsterte er.
    »Es sind nur ein paar Worte. Ohne große Bedeutung.«
    Sein Mund klappte auf, als hätte ich mich gerade vor seinen Augen in den Teufel verwandelt. »Es ist ein Versprechen Gott gegenüber – wie können Sie sagen, es hätte keine Bedeutung? Ich kann nicht auf die Bibel schwören, Ellie«, sagte er. »Es tut mir leid, aber das kann ich nicht.«
    Ich nickte knapp und ging wieder zu der Richterin. »Einen Eid auf die Bibel abzulegen verstößt gegen seine Religion. Ist es möglich, eine Ausnahme zu machen?«
    George ging neben mir in Position. »Euer Ehren, es tut mir leid, wenn ich mich wie eine Schallplatte mit Sprung anhöre, aber natürlich hat Ms. Hathaway diese Vorstellung geplant, um bei den Geschworenen Verständnis für die Amischen zu wecken.«
    »Klar. Und jeden Moment kommt die Schauspieltruppe rein, die ich engagiert habe, um mitten im Gerichtssaal Katies Kummer nachzuspielen.«
    »Wissen Sie«, sagte Richterin Ledbetter nachdenklich, »ich hatte mal bei einem Prozeß einen amischen Geschäftsmann als Zeugen, und da hatten wir das gleiche Problem.«
    Ich starrte die Richterin an, nicht weil sie eine Lösung in Aussicht stellte, sondern weil sie tatsächlich schon einmal einen Amischen in ihrem Gerichtssaal hatte. »Mr. Stoltzfus«, rief sie. »Wären Sie bereit, eine eidesstattliche Versicherung auf die Bibel abzugeben?«
    Ich konnte förmlich sehen, wie es in Samuels Kopf arbeitete. Und ich wußte, daß die Buchstabentreue der Amischen der Richterin zugute kommen würde. Solange sie nicht von schwören oder geloben oder versprechen sprach, würde Samuel den Kompromiß akzeptieren.
    Er nickte. Der Gerichtsdiener schob ihm wieder die Bibel unter die Hand; mag sein, daß nur mir auffiel, daß Samuels Handfläche einige Millimeter über dem Ledereinband schwebten. »Ähm, erklären Sie … ähm, an Eides Statt, die Wahrheit zu sagen, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr Ihnen Gott helfe?«
    Samuel lächelte den kleinen Mann an. »Ja, in Ordnung.«
    Er setzte

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