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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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um ein paar Stunden schlafen zu können. Sie schaltete das Laufband ab, ging zum Fax und wartete schwitzend, bis die Seiten herausgerollt kamen. Als sie das Deckblatt von der Gerichtsmedizin sah, wurde ihr Puls noch schneller.
    Sie las einzelne verwirrende Bruchstücke.
    Männlich, 32. Woche. 39,2 cm Scheitel–Ferse; 26 cm Scheitel– Rumpf. Hydrostatischer Test … geweiteter Lungenbläschengang … fleckig rosa bis dunkelrotes Aussehen … linker und rechter Lungenflügel entfaltet, so daß nur partielle oder nicht regelmäßige Belüftung ausgeschlossen werden kann. Luft im Mittelohr. Bluterguß an der Oberlippe; Baumwollfasern an beiden Gaumen.
    »Großer Gott«, flüsterte sie. Sie hatte schon öfters mit Mördern zu tun gehabt – mit dem Mann, der einen Gemischtwarenhändler wegen einer Packung Camel erstochen hatte, mit einem Jungen, der Studentinnen vergewaltigt und sie blutend liegengelassen hatte; einmal mit einer Frau, die ihrem gewalttätigen Mann im Schlaf das Gesicht weggeschossen hatte. All diese Leute hatten irgend etwas an sich, irgend etwas, das Lizzie das Gefühl gab, wenn man sie öffnen könnte, wie diese russischen Puppen, die man ineinanderstecken konnte, würde man in ihrem Innersten heiße, glühende Kohle finden.
    Etwas, das auf dieses amische Mädchen ganz und gar nicht zutraf. Lizzie schlüpfte aus ihren Sportsachen und stellte sich unter die Dusche. Bevor diese junge Frau ihre Freiheit verlor, bevor sie ihr ihre Rechte vorlas und sie offiziell festnahm, wollte Lizzie Katie Fisher in die Augen blicken und sehen, was sich in ihrem Innersten verbarg.
    Es war vier Uhr morgens, als Lizzie das Krankenhauszimmer betrat, aber Katie war wach und allein. Sie richtete ihre großen blauen Augen erstaunt auf die Polizistin. »Hallo.«
    Lizzie lächelte und setzte sich neben das Bett. »Wie fühlen Sie sich?«
    »Besser«, sagte Katie leise. »Kräftiger.«
    Lizzie schaute auf Katies Schoß und sah die Bibel, in der sie gelesen hatte. »Die hat Samuel mir gebracht«, sagte das Mädchen, verunsichert durch den finsteren Blick der anderen Frau. »Ist die Bibel hier nicht erlaubt?«
    »Nein, nein, sie ist erlaubt«, sagte Lizzie. Sie hatte das Gefühl, daß der Turm von Beweisen, den sie in den letzten vierundzwanzig Stunden zusammengetragen hatte, anfing zu wackeln: Sie ist eine Amisch . Konnte diese eine Entschuldigung, dieser eine eklatante Widerspruch ihn umstoßen? »Katie, hat die Ärztin Ihnen erklärt, was mit Ihnen passiert ist?«
    Katie blickte auf. Sie schob einen Finger in die Bibel, klappte das Buch zu und nickte.
    »Als ich gestern mit Ihnen gesprochen habe, haben Sie gesagt, Sie hätten kein Kind bekommen.« Lizzie holte tief Luft. »Ich frage mich, warum Sie das gesagt haben.«
    »Weil ich kein Kind bekommen habe.«
    Lizzie schüttelte ungläubig den Kopf. »Wieso haben Sie dann geblutet?«
    Röte stieg vom Ausschnitt des Krankenhaushemdes hinauf in Katies Gesicht. »Es ist meine monatliche Zeit«, sagte sie leise. Sie schaute weg, rang um Fassung. »Ich mag ja schlicht sein, Detective, aber ich bin nicht dumm. Meinen Sie nicht, ich müßte es wissen, wenn ich ein Baby bekommen hätte?«
    Die Antwort klang so offen, so ehrlich, daß Lizzie innehielt. Was mache ich falsch? Sie hatte Hunderte von Menschen verhört, Hunderte von Lügnern, aber Katie Fisher war die erste, die sie nicht als solche abtun konnte. Sie blickte zum Fenster hinaus, auf das flimmernde Rot am Horizont, und begriff plötzlich, wo der Unterschied lag: Das hier war nicht gespielt. Katie Fisher glaubte alles, was sie sagte.
    Lizzie räusperte sich, versuchte es mit einer anderen Taktik. »Ich muß Sie jetzt etwas sehr Persönliches fragen, Katie … Hatten Sie je sexuelle Beziehungen?«
    Falls es überhaupt möglich war, glühten Katies Wangen noch röter. »Nein.«
    »Würde Ihr Freund mir die gleiche Antwort geben?«
    »Fragen Sie ihn doch«, sagte sie trotzig.
    »Sie haben gestern morgen das Baby gesehen«, sagte Lizzie mit heiserer Stimme. »Wie ist es dazu gekommen?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Stimmt.« Lizzie massierte sich die Schläfen. »Es ist ja nicht von Ihnen.«
    Ein frohes Lächeln breitete sich auf Katies Gesicht aus. »Das erkläre ich Ihnen ja schon die ganze Zeit.«
    »Sie ist die einzige Verdächtige«, sagte Lizzie, während sie zusah, wie George sich eine Gabel voll Bratkartoffeln in den Mund schob. Sie hatten sich auf halbem Weg zwischen der Staatsanwaltschaft und East Paradise in einem Diner

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