Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
werden ihr jeden Tag begegnen, und sie werden sie genau so sehen. Und bald werden ihre Familie und alles, wofür sie sich einsetzt, eine Lachnummer sein.«
Und das würde sie zerstören.
Rhys schloss die Augen. »Kann ich gar nichts tun?«
»Vielleicht denkt sie, dass du es wert bist. Liebt sie dich?«
Nein . Doch er kämpfte gegen die traurige Wahrheit an mit der Erinnerung daran, wie sie sich immer zu ihm umdrehte. Wie sie schlief, fest an ihn geschmiegt. »Sie braucht mich.«
»Ah ja. Weil sie nicht fast dreißig Jahre lang zurechtgekommen ist, mit einer Familie und Freunden, die sie vergöttern – und die für sie sterben würden.«
Kopfschüttelnd gab Scarsdale Rhys das Flugblatt zurück. »Selbst wenn es stimmt und sie dich braucht, willst du, dass sie damit bezahlt?«
Er blickte auf das Blatt Papier, ohne die Karikatur zu sehen. Er sah nur die Tinte, die von Tränen verwischt war. Das hier hatte sie verletzt. Es spielte keine Rolle, dass die Zeichnung Unsinn war. Sie hatte sie trotzdem schwer getroffen.
Rhys würde das nicht noch einmal zulassen. Nicht durch ein Flugblatt, und auch nicht durch die Menschen, denen sie an jedem verdammten Tag begegnete.
»Sie sagt, ich könnte nicht kontrollieren, was sie denken. Also werde ich das ändern.«
Scarsdale legte nachdenklich den Kopf schräg, als hätte Rhys einen Vorschlag gemacht, anstatt die Lage zu analysieren. Langsam nickte er. »Die Erinnerung an die Horde schwindet langsam. Und du hast eine gewichtige Stimme. Du könntest ihnen vermitteln, dass das eine inakzeptable Abbildung von jedem Menschen wäre – nicht nur von jemandem mit Hordenblut. Und tu das, ohne sie in den Vordergrund zu stellen.«
»Wie lange würde das dauern?«
Scarsdales Seufzer verriet, dass es zu lange wäre. Also konnte Rhys sie jetzt nicht haben. Doch er würde nicht nachgeben, bis es möglich wäre. Aber bis dahin musste er sie gehen lassen.
»Ich werde den Männern sagen, sie sollen Yasmeen ein Signal schicken.« Rhys öffnete die Tür. »Sie wird Mina an Bord nehmen.«
Betroffen sagte der Bounder: »Hör mal, Kapitän, du musst sie nicht sofort wegschicken.«
»Doch, ich tue es.« Oder er könnte es nie.
Es bedurfte sowieso einer ungeheuren Selbstkontrolle, sie nicht darum zu bitten zu bleiben.
Der salzige Dunst, der vom Bug aufstieg, kühlte Minas Gesicht und verwischte die Spuren, welche der Strom von Tränen hinterlassen hatte. Mit einem Gefühl der Leere starrte sie auf das Wasser und die silberne Spur des sich im Wasser spiegelnden Mondlichts, ohne sie jedoch zu sehen.
Sie wollte so viel. Sie hasste ihn beinahe dafür, dass er sie dazu gebracht hatte, es zu wollen. Dass er sie gebeten hatte, es zu nehmen. Nein – dafür dass er ihr befohlen hatte, es zu nehmen, als sie selbst es sich nicht einmal vorzustellen wagte, ihn zu haben.
Es sich vorzustellen, war jetzt alles, was sie tun konnte.
Die Reaktion der Öffentlichkeit wäre ein schwerer Schlag für ihre Eltern. Und sie hatten bereits so vielen Dingen widerstanden. Aber wenn Mina sich entschloss, bei ihm zu bleiben, würden sie gegen jedes Gerücht, jede Karikatur, alles, was verletzend war, ankämpfen. Sie würden zusammenstehen und sich nicht unterkriegen lassen, weil sie sie liebten … und weil sie ihn liebte.
Und jeder Tag würde schwierig sein. Doch wenn Rhys sie liebte, könnten sie auch gemeinsam kämpfen. Alles, was sie gewinnen würde, wäre das Leiden wert.
Doch wenn sie nur sein Besitz war, jemand, den er gern vögelte …
Sie konnte es nicht wissen. Sie musste es herausfinden …
Erschaudernd wischte sie sich über die Augen und stand auf. Am anderen Ende des Schiffs arbeitete die Crew im Laternenlicht und befestigte die Lady Corsair am Heck der Terror . Mina stieg den Niedergang hinunter und wurde mit jedem Schritt auf die Kapitänskajüte zu entschlossener. Sie war beinahe bereit, als sie durch die Tür trat und ihre gepackten Sachen auf dem Bett sah. Rhys nahm gerade einen Zigarillo aus einem Silberetui. Er hatte wieder diesen furchtbar teilnahmslosen Blick.
Mina hatte genug Erfahrung darin, Schmerz zu verdrängen. Sie hatte nicht gewusst, dass er so groß werden konnte, dass er alles andere wegschob. Kein Platz für Trauer. Kein Platz fürs Leugnen. Kein Platz für gar nichts. So groß, dass sie ganz betäubt war.
Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie sich davon erholt hätte. Und wenn es geschah, wie sehr alles andere, was sie fühlte, ebenfalls anfangen würde
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