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Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See

Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See

Titel: Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meljean Brook
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des Königs musste dasselbe gedacht haben. Also ließen sie die Ruine stehen. Vielleicht würde Edwards Erbe den Turm abreißen, wenn er die Volljährigkeit erreicht hatte und die Regentschaft übernehmen würde. Wie Minas Bruder Andrew war der Prinz erst fünf Jahre alt gewesen, als das Funksignal der Horde plötzlich verschwunden war. Jemand, der so jung war, kannte die Besatzung und die plötzliche, unerwartete Freiheit eher aus Erzählungen als aus eigenen Erinnerungen. Wenn er den Thron besteigen würde, hätte er vielleicht eher eine Gedenktafel im Sinn, auf der die Geschichte erzählt würde, als die Wirklichkeit einer Turmruine.
    Vielleicht wäre Mina dann bereit, ein schimmerndes Denkmal an ihrer Stelle zu akzeptieren.
    Sie schloss die letzte Schnalle und ließ den Blick vom Turm über die Themse gleiten. Der Dunst über Southwark schimmerte orangefarben von der letzten Glut der Brände, die in den Wohnsiedlungen gewütet hatten.
    Die armen Schweine. Niemand hätte eine Rückkehr der Horde begrüßt, doch konnte auch niemand den Ansturm der Gefühle aushalten, den die Freiheit mit sich gebracht hatte. Freude, Hass und Furcht, die nicht länger an der Oberfläche abgeschöpft wurden – auch der Schmerz nicht. Wenn die Intensität der Gefühle unerträglich wurde, suchten viele Bugger Erleichterung in Opiumhöhlen; es war ihnen egal, dass sie den einen Sklavenhalter durch den anderen ersetzt hatten. Noch wusste niemand, wie viele der Opiumsüchtigen bei den Bränden ums Leben gekommen waren. Selbst wenn sie bemerkt hätten, dass ihr Zimmer in Flammen stand, wären sie wahrscheinlich trotzdem zu orientierungslos gewesen, um den Weg hinaus zu finden. Mina hoffte, dass sie nichts gespürt hatten, als sie verbrannten – und dass diejenigen, die überlebt haben, ihre Sucht überwanden und lernten, mit dem Leben zurechtzukommen. Schmerz und starke Gefühle waren unvermeidbar, doch sie konnten einfach … versuchen, sie zu verdrängen.
    Das war es, was Mina tat. Sie nahm an, dass das die meisten Bugger taten, die unter der Horde groß geworden waren.
    Und in diesem Moment musste sie ihr Mitgefühl wegschieben und sich konzentrieren. Mina wandte sich vom Fenster ab und klopfte an Hales Tür. Als die Chefinspektorin antwortete, straffte Mina ihre Schultern und versuchte zu ignorieren, dass sie ein Kleid mit kurzen gelben Ärmeln trug und bloße Arme hatte; eine absurde Aufmachung. Vom ersten Ausbildungstag an hatte die Chefinspektorin ihr eingeschärft, wie wichtig eine angemessene Erscheinung bei einem Inspektor – und besonders bei einer Frau – war, eine, die Vertrauen erweckte und Autorität ausstrahlte. Was Mina jetzt nicht durch ihre Kleidung vermitteln konnte, musste sie mit ihrem Auftreten ausgleichen.
    Als sie eintrat, erhellte nur eine einzige Gaslampe das kleine Büro und warf einen warmen Schein auf die Stadtpläne von London, die an der Wand hingen. Chefinspektor Hale, eine groß gewachsene Frau mit schmalen, blassen Gesichtszügen, saß hinter ihrem Schreibtisch und sah einen Stapel Telegramme durch. Trotz der späten Stunde sah Hale aus, als ob sie das Büro noch gar nicht verlassen hätte: Ihr langsam ergrauendes kastanienbraunes Haar war zu einem Dutt hochgesteckt, ihr Jackett ein wenig ausgebeult.
    Mina war nicht überrascht, dass Douglas Sheffield zusammengesunken in dem Stuhl vor Hales Schreibtisch saß; sie hatte gehört, dass er vor Kurzem aus Manhattan City zurückgekehrt war. Mit seiner zerknitterten Kleidung und der schief geknöpften Weste sah er aus, als wäre er aus dem Bett gesprungen und hätte sich eilig angezogen, um sie zu begleiten. Selbst eine Chefinspektorin fuhr nachts nicht allein durch London, und der Fabrikant verfolgte sorgsam seine Interessen. Mina wusste nicht, welches Interesse im Vordergrund stand, die Witwe Hale oder die Luftschiffe, mit denen seine Familie in Manhattan City ein Vermögen gemacht hatte, doch sein Engagement für beides war unbestreitbar.
    Er erhob sich halb, als Mina hereinkam, und ließ sich dann wieder zurücksinken, während er eine Begrüßung in sein Taschentuch hustete.
    Hale musterte Mina und hielt kurz bei den gelben Röcken inne. »Wie ich sehe, haben Sie die Dringlichkeit der Sache erfasst.«
    »Ja, Sir. Wir sind von Devonshire House direkt auf die Insel gefahren.«
    Hale zeigte zu dem Fernschreiber, der einen langen Tisch an der Wand besetzte. »Ich habe bereits Telegramme vom Polizeipräsidenten und vom Bürgermeister bekommen. Ich erwarte

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