Die Eissphinx
antarktischen Schildkröten den Dromedaren zu vergleichen, so rechtfertigt sich das deshalb, weil sie unten am Halse eine mit Süßwasser gefüllte Tasche von zwei bis drei Gallonen Inhalt haben. Nach seinem Berichte war es, bis zu jener schrecklichen Loosziehung, eine dieser Schildkröten gewesen, der es die Schiffbrüchigen zu verdanken hatten, daß sie vor Hunger und Durst noch nicht umgekommen waren. Wenn man ihm glauben darf, giebt es derartige Land-oder Seeschildkröten, die von zwölf-bis fünfzehnhundert Pfund wiegen. Waren die von Halbrane-Land auch nicht über sieben-bis achthundert Pfund schwer, so war doch ihr Fleisch nicht minder nahrungsreich und schmackhaft.
Sahen wir uns also auch gezwungen, weniger als fünf Grade vom Südpol zu überwintern, so war unsere Lage trotz der zu erwartenden strengen Kälte doch nicht dazu angethan, muthige Herzen verzweifeln zu lassen. Die einzige Frage – deren Ernst ich nicht leugne – betraf nur die Rückkehr, nachdem die schlechte Jahreszeit überstanden war. Sollte diese Frage eine glückliche Lösung finden, so war dazu nöthig, 1. daß unsere im Boote entflohenen Leute hatten heimkehren können, und 2. daß es ihre erste Sorge wäre, ein Schiff zu senden, das uns abholen könnte. In dieser Hinsicht konnten wir freilich nur hoffen, daß vielleicht Martin Holt uns nicht vergessen werde. Doch, ob es ihm und seinen Kameraden gelang, eines der pacifischen Länder an Bord eines Walfängers zu erreichen… wer vermöchte das zu sagen? Weiter kam es auch darauf an, daß die nächste Sommerzeit früh genug eintrat, um eine so weite Reise durch das Antarktische Meer unternehmen zu können.
Wir sprachen gar häufig über unsere guten und schlechten Aussichten. Vor Allen zeigte sich der Hochbootsmann, Dank seiner glücklichen Natur und vorzüglichen Zähigkeit, voll des besten Vertrauens. Der Koch Endicott theilte diese Hoffnung oder machte sich wenigstens keine Sorge um zukünftige Möglichkeiten… Er kochte, als wenn er im »Grünen Cormoran« vor dem Küchenofen stände. Die Matrosen Francis und Stern hörten uns zu, ohne ein Wort zu äußern, doch wer weiß, ob sie es jetzt nicht bereuten, sich Hearne und seinen Kameraden nicht angeschlossen zu haben. Der Kalfatermaat Hardie wartete ab, was da kommen würde, ohne darüber zu grübeln, welche Wendung der Dinge nach fünf bis sechs Monaten eintreten könnte.
Der Kapitän Len Guy und der Lieutenant stimmten wie gewöhnlich überein. Sie würden zum Besten Aller gewiß versuchen, was menschenmöglich war. Ueber das Schicksal des Bootes wenig beruhigt, dachten sie vielleicht daran, zu Fuß nach Norden über das Eisfeld zu ziehen, und gewiß hätte keiner von uns gezögert, ihnen dabei zu folgen. Die Stunde für ein solches Unternehmen hatte übrigens noch nicht geschlagen und eine Entscheidung darüber war erst zu treffen, wenn das Meer bis zum Polarkreise hinauf erstarrt war.
Das war unsere Lage, der keine Veränderung bevorzustehen schien, als am 19. Februar sich ein Ereigniß zutrug, das Alle als von der Vorsehung veranstaltet betrachten mußten, die irgend an ein Eingreifen derselben in menschliche Dinge glauben. Es war um acht Uhr morgens. Das Wetter war ruhig, der Himmel ziemlich klar und der Thermometer wies auf zweiunddreißig Grad (0° C.).
Bis auf den Hochbootsmann befanden wir uns alle in der Höhle, und in Erwartung des Frühstücks, das Endicott eben auftrug, wollten wir uns schon zu Tisch setzen, als draußen eine Stimme hörbar wurde.
Das konnte nur die Hurliguerly’s sein, und da seine Rufe sich wiederholten, eilten wir hinaus.
Da stand er auf einem Felsen am Fuße des Hügels, der an der Spitze von Halbrane-Land auslief, und wies nach dem Meere hinaus.
»Was giebt es denn da zu sehen? fragte der Kapitän Len Guy.
– Ein Boot!
– Ein Boot? rief ich verwundert.
– Sollte es das der »Halbrane« sein, das etwa zurückkehrte? fragte der Kapitän Len Guy.
– Nein, das ist es nicht!« erklärte Jem West bestimmt.
Thatsächlich schaukelte draußen ein Boot, dessen Gestalt und Größe jede Verwechslung mit dem von unserer Goëlette ausschloß, ohne Ruder oder Pagaien umher.
Es schien einzig und allein der Strömung zu folgen.
Wir hatten alle denselben Gedanken, wollten uns um jeden Preis dieses Fahrzeugs bemächtigen, von dem vielleicht unsere Rettung abhing. Doch wie es erreichen, wie es an diese Spitze von Halbrane-Land heranlootsen?
Das Boot schwamm noch etwa eine Seemeile von uns entfernt
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