Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
Leuchten durchdrang seine Hände, und das charakteristische Gefühl der Kraft, das von den Elbensteinen ausging, durchflutete ihn. Sie waren es. Er wusste es, ohne dass er in die Ledertasche hineinschauen musste. Er steckte sie unter sein Wams.
»Nur zu, erstecht mich! Erschlagt mich!«, dröhnte die Gedankenstimme so intensiv, dass Keandir der Schädel zu platzen drohte. »Zerteilt mich, König Keandir! Nur weint hinterher nicht um mich!« Ein gehässiges Gelächter folgte, und da erhellte sich auf einmal die Finsternis unter der Kapuze, und ein Gesicht wurde sichtbar.
Als Erstes fielen Keandir die vollkommen mit Schwärze gefüllten Augen auf. Augen, die den seinen glichen.
Nein, die ihnen ähnlich waren, korrigierte er sich.
Denn das Gesicht, in das er sah, war das seines Sohnes Magolas.
Einen Moment lang lähmte den Elbenkönig das Entsetzen. Mit allem hätte er gerechnet, alles ertragen, auch den eigenen Tod
– aber nicht das!
Dieser eine Moment reichte gerade noch für den Gedanken, dass er vielleicht Opfer einer magischen Täuschung war. Dann war es zu spät – der Axtherrscher hakte seinen Fuß in Keandirs Kniekehle und brachte den Elbenkönig zu Fall. Der Axtherrscher sprang aus der liegenden Position direkt in den Stand, als wolle er damit die Naturgesetze verspotten. Das Gesicht Magolas’ verschwand und wurde wieder zu einem finsteren Loch, einem Schatten aus purem Nichts.
Dann steckte er beide Pranken aus. Die Steinäxte zweier gefallener Trorks erhoben sich vom Boden und flogen in seine sechsfingrigen Pranken. Damit stürzte er sich auf Keandir und deckte den König der Elben mit einem Wirbel dicht aufeinanderfolgender Schläge ein; Keandir konnte sie nur mit Mühe parieren. Dann täuschte der Elbenkönig einen Angriff an, hieb seinem Gegenüber die linke Pranke ab, lenkte den Schlag der anderen Steinaxt knapp zur Seite – und versenkte die Spitze seines Schwerts tief in die Dunkelheit unter der Kapuze des Feindes.
Eine unnatürliche Kälte durchfuhr Keandirs Waffe, griff auf seine Hand und den Arm über und breitete sich schmerzhaft im ganzen Körper aus. Ein Stöhnen drang aus der Finsternis unter der Kapuze, schwarzes Blut rann an der Klinge Schicksalsbezwingers entlang und tropfte an jener Stelle von dem Elbenstahl, an der die Klinge einst geborsten gewesen war.
Keandir zog sein Schwert zurück, als der Axtherrscher zu Boden sank, und war einige Augenblicke lang wie betäubt, bis dieses unnatürliche Kälteempfinden verebbte. Dann starrte er hinab auf den am Boden liegenden Axtherrscher. Die Finsternis unter dessen Kapuze verwandelte sich erneut in das Gesicht Magolas’, nur dass diesmal das linke Auge fehlte; dort klaffte eine entsetzliche Wunde. Die Züge waren starr und tot.
Aber ein Gelächter dröhnte in Keandirs Kopf, bis die Gestalt des Axtkriegers langsam zerfiel. Sie wurde grauschwarzer Staub, der wie Asche aussah und vom Wind davongetragen wurde. Die Knochen zerbröselten innerhalb von Momenten.
Und das schauderhafte Lachen – es erstarb.
Zur gleichen Zeit stand Magolas mit seinen Mannen vor den Toren Rajars. Plötzlich durchdrang ein stechender Schmerz sein linkes Auge, als hätte ihm jemand eine Schwertspitze in den Kopf gerammt. Er stand schwankend da und verlor für einen Moment den Bezug zu der Welt, die ihn umgab. Zeit, Raum, der Wind, die Luft und die Brieftauben, die die Stadt Rajar regelmäßig erreichten – das alles erschien in diesem Moment nicht mehr existent.
»Was ist mit Euch, mein Prinz?«, hörte er von weit her eine Stimme. Er hätte nicht sagen können, wer das gesagt hatte, obwohl dieser Mann ganz gewiss über Wochen an seiner Seite geritten war. Magolas schloss die Augen. Im nächsten Moment war der Schmerz wieder vorbei.
Eine Brieftaube bog von ihrem ursprünglichen Kurs auf die Stadt Rajar ab und flog auf die Elben zu. Sie landete nur wenige Schritte von Magolas entfernt, und das Geflatter ihrer Flügel brachte den Königssohn wieder zurück in die Realität.
Er betastete sein linkes Auge, wo für einen Moment der Höllenschmerz gewütet hatte.
»Was war mit Euch, Herr?«, fragte die Stimme, die er schon zuvor gehört hatte, und diesmal vernahm er sie deutlicher und gegenwärtiger; Magolas erkannte auch, dass es Marschall Pradossak, der Befehlshaber des aratanischen Heeres war, der zu ihm sprach. Der Prinz wandte leicht den Kopf, während sich einer der Elbensoldaten um die Brieftaube kümmerte. Etwa jede zweite von ihnen ließ sich auch auf
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