Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
des Diesseitigen stark eingeschränkt hatte, um der Erkenntnis näherzukommen.
Er befand sich in der schneebedeckten Gipfelregion eines hoch-elbianitischen Bergmassivs, das man das »Horn von Eldrana« nannte. Die Luft war bereits so dünn, dass ein Rhagar ebenso wenig hätte atmen können wie all die größeren und kleineren Tiere, die in der hoch-elbianitischen Bergwelt beheimatet waren. In diesen Höhen war man selbst vor den Riesenzahnkatzen sicher, nicht einmal die Berggeier wagten sich so hoch hinauf, und die Kälte hätte unter normalen Umständen selbst einen Elb erfrieren lassen. Aber Andir hatte in der Zeit seiner Einsamkeit gelernt, den eigenen Körper auf eine so vollkommene Weise zu beherrschen, wie er es früher nie für möglich gehalten hätte.
Seit Tagen hatte er nichts gegessen, vielleicht auch schon seit Wochen. Doch er spürte den Hunger ebenso wenig wie die klirrende Kälte. Die Kraft des Geistes hielt ihn aufrecht. Für sein großes, spirituelles Ziel war er bereit, auch einiges zu riskieren.
Hierher könnt ihr mir nicht folgen, ihr Schatten des Bösen, ging es ihm durch den Sinn.
Ihm war, als würde ein heiseres, spöttisches Gelächter in seinem Kopf widerhallen. Es war der spontane Kommentar eines Teils seiner Seele, jenes Teils, der sich nicht länger weigerte, das Existierende als gegeben hinzunehmen, der sich nicht länger an Illusionen festklammern wollte.
Andir hatte sein Elbenpferd weiter unten zurückgelassen, denn auch das geschickteste Tier wäre nicht in der Lage gewesen, ihm in diese Höhen zu folgen; es stand auf einer der Hochalmen, wo es genug Gras und Wasser gab. Falls er es brauchte, konnte er es nach seinem Abstieg jederzeit mit einem Gedankenbefehl zu sich rufen. Seine geistige Kraft reichte aus, um auch über größere Distanzen hinweg ein ihm vertrautes Pferd zu erreichen.
Mit nichts weiter als seinem Gewand und einem kleinen Lederbeutel, den er am Gürtel trug, war er hinauf in diese atemberaubenden Höhen gestiegen. In dem Beutel befanden sich Kristalle, auf die er einst mit Hilfe eines Zaubers das Wissen aus seiner Bibliothek in Elbenhaven gespeichert hatte.
Von allem hatte er sich befreit, nur davon nicht. Aber eines Tages würde er vielleicht auch dazu die Kraft finden.
Ein dumpfer, summender Laut, der sich in ein qualvolles Stöhnen wandelte, ließ den Magier den Kopf wenden, und sein Blick schweifte über die Umgebung. Vom zerklüfteten Bergland Hoch-Elbianas war kaum etwas zu sehen; eine grauweiße Decke hüllte das Land ein, und nur hier und dort durchstieß ein einsamer Gipfel den dichten Dunst. Das »Horn von Eldrana« aber ragte weit aus der Nebeldecke hervor.
Dort waren sie – die Schatten, das Dunkle. Er würde sich den Mächten der Finsternis stellen müssen; er hatte es lange geahnt, und der Zeitpunkt war schließlich gekommen.
Aufmerksam suchte Andir mit seinen Blicken die Umgebung ab. Er fühlte Schauder bis ins Mark. Diesen Tag hatte er gefürchtet wie nichts anderes.
Es war beinahe lautlos. Und die das Horn umgebende Nebeldecke vermittelte die Illusion, dass er allein in einer bizarren Fantasielandschaft war, die aussah, als wäre sie den dramatischen Darstellungen von Mindoril dem Wahnsinnigen entsprungen. Mindoril war in der Alten Zeit ein Elbischer Maler in Athranor gewesen; seine Gemälde hatten ganze Felswände bedeckt und waren bereits aus einer Entfernung von mehreren Meilen zu bestaunen gewesen. So perfekt waren sie in die Landschaft eingepasst, dass man die auf ihnen dargestellten Fantasmen für real hätte halten können; selbst die scharfen Elbenaugen waren vor dieser Illusion nicht gefeit gewesen. Während Mindorils Gemälde einerseits die positive Eigenschaft gehabt hatten, die ziemlich aggressiven athranorischen Trolle auf Distanz zu halten, hatten sie auf manche besonders empfindsame Elben eine geradezu verheerende Wirkung ausgeübt: Immer wieder hatten sich Betrachter in ihrem Anblick verloren, und es hatte der Kunst eines Heilers oder Schamanen bedurfte, den Betreffenden wieder aus dem Einfluss des jeweiligen Bildes zu befreien.
Den Überlieferungen nach hatte dies zu einer zweitausend Jahre dauernden Spaltung des athranorischen Elbenreichs und zu einem erbitterten Krieg geführt, der zwischen langen Unterbrechungen immer wieder aufgeflammt war: Während im Reich der Osteiben die Malerei ihrer angeblichen Gefährlichkeit wegen vollkommen verboten worden war, blieb sie im Reich der Westeiben eine angesehene Kunstform, und
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