Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
Müller-Nöllendorf nach dem Krankenhaus war ich natürlich megaaufgeregt. Sogar meine Mutter hat es gemerkt und gefragt:
„Was ist heute mit Dir?“
Ich hatte richtig Panik an diesem Tag, zu der Psychologin zu gehen und rannte 30-mal um die Säule an der Tiefgarageneinfahrt und dann andersherum, bevor ich eingestiegen bin. Im Auto habe ich auch die ganze Zeit herumgezappelt und manchmal geschrien, bis meine Mutter an der Tankstelle hielt und mir ein Pistazieneis besorgte. Pistazieneis ist stärker als Panik. Aber ich kann natürlich nicht rund um die Uhr Pistazieneis essen. Dann wirkt es nämlich irgendwann nicht mehr. So wie Penizillin. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass manche Bakterien überhaupt nicht mehr wegen dem Penizillin sterben. Sie haben sich daran gewöhnt und finden es jetzt so lecker wie ich Erdbeershake. Und genauso wäre es mit meinem Pistazieneis. Wenn ich es immer bekommen würde, dann würde es nicht mehr wirken. Es ist nur für den Notfall, so wie die Bachblüten von meiner Tante, die sie manchmal nimmt, wenn sie durchdreht.
Ich hatte Panik, dass Frau Dr. Müller-Nöllendorf merkt, dass ich ihr was verheimlichen will und mir alles an der Nasenspitze ablesen kann.
Und dann würde sie wieder keine Ruhe geben und meine Eltern so lange beschwallen, bis die zustimmten, dass mich die anderen Replikanten wieder in den Reaktor der Nostromo schieben. Wenn ich wach bin, werde ich nichts erzählen, aber was ist, wenn mich Frau Dr. Kaa hypnotisiert? Deshalb hatte ich Vollpanik.
Als ich ins Zimmer zu ihr ging und ihr die Hand gab, hatte ich eiskalte, verschwitzte Hände. Das hat sie gemerkt, denn sie hat meine Hand ungefähr zehn Stunden nicht mehr losgelassen und mich gefragt:
„Wie geht es Dir heute?“, und mich dabei mit so einem Röntgenblick angesehen.
Ich habe zwar „Ganz gut“ gesagt, aber sofort zu zittern angefangen, weil sie immer noch meine Hand hielt. Da meinte sie:
„Ich glaube, ich muss noch mal mit deinen Eltern sprechen.“
Dann ging sie hinaus und kam ungefähr erst nach hundert Jahren zurück. Ich habe mich auf die Liege gelegt und bin sofort vor Erschöpfung eingeschlafen und erst aufgewacht, als mich meine Mutter gerüttelt hat. Ich dachte zuerst, es ist nichts Schlimmes und dass wir nur durch einen Asteroidengürtel fliegen. Wenn man durch einen Asteroidengürtel fliegt, ist es ganz normal, wenn es ruckelt. Da muss man sich keine Sorgen machen. Die Schutzschilder halten die Brocken ab und der Außenhülle passiert nichts. Aber weil die Brocken so schnell sind und mit 100000 Sachen auf die Schutzschilder prasseln, ruckelt es eben. Deshalb war ich auch ganz cool, als ich aufgewacht bin. Aber als ich meine Augen aufschlug, habe ich in Kaas Gesicht geschaut und meine Panik war sofort wieder da.
Frau Dr. Müller-Nöllendorf wollte mich zur Beobachtung ins Krankenhaus einweisen, weil sie meinte, dass doch eine meiner Platinen einen Wackelkontakt hat, auch wenn sie ihn beim ersten Mal nicht gefunden haben.
Meine Mutter hat mir das mit ganz sanfter Stimme gesagt, gleich nachdem ich aus dem Meteoriten-Sturm gekommen war. Aber das ist das Schlimme. Wenn meine Mutter auf sanfte Stimme umstellt, schaltet mein System völlig auf Alarmstufe Rot. Ich höre dann beinahe nicht mehr, was sie eigentlich sagt, so laut sind die Sirenen in meinem Kopf. Denn wenn meine Mutter auf sanfte Stimme umstellt, dann weiß ich, dass irgendeine Vollkatastrophe kommt und mein Fusionsreaktor schaltet auf Überlebensautopilot.
Frau Dr. Müller-Nöllendorf beschwallte meine Mutter, weil sie meinte, dass sie einknickt. Wenn mein Vater dabei gewesen wäre, dann hätte er sie jetzt rund gemacht, weil sie doch schon zweimal kein Ergebnis hatte. Mein Vater wird dann richtig garstig. Er hätte Frau Dr. Müller-Nöllendorf gesagt, dass sie mich nur einweisen will, um die Versicherung abzuzocken und Honorar zu schinden. Solche Sachen eben. Aber mein Vater ist nicht da. Er berät grade mal wieder irgendwelche Firmen, damit sie nicht pleite gehen. Und das nutzt Frau Dr. Kaa schamlos aus.
Es ist ja wirklich so, dass ich noch nie jemanden in ihrem Wartezimmer gesehen habe, seit wir zu ihr kommen. Frau Dr. Müller-Nöllendorf behandelt nur Kinder. Ich habe aber noch nie ein Kind im Wartezimmer gesehen. Erwachsene schon. Vielleicht hat sie auch ganz viele Wartezimmer, die in einem Kreis um das Behandlungszimmer liegen. Vielleicht sollen sich die Gestörten nicht über den Weg laufen.
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