Die Elenden von Lódz
Schnabel aufging, als hätte er beschlossen, nun zu reden.
Staszek warf einen ängstlichen Blick auf die Vorhänge, doch von da war nichts zu hören. Prinzessin Helena schlief noch immer. Er öffnete die Tür am Giebel des Bauers, plötzlich unsicher, was er mit dem Vogel tun sollte, der jetzt zu nichts mehr nütze war, wie er da mit aufgesperrtem Schnabel und unter sich gezogenen Flügeln auf dem Käfigboden lag. |441| Nach einer Weile steckte er die Hand hinein und holte ihn heraus. Aus irgendeinem Grund flößte ihm der spulenförmige, noch warme Vogelkörper intensives Unbehagen ein. Er ließ ihn auf der Stelle fallen und versuchte dann, das zähe Blutgeschmiere auf der Handfläche, in dem auch Federn und etwas Gelbes hingen, loszuwerden. Er hätte in die Küche hinausgehen und die Hand im Eimer abspülen müssen, doch das traute er sich nicht; Frau Koszmar stand noch immer auf dem Korridor und versuchte mit Hilfe von Fräulein Fuchs die Besucher zum Büro des Ältesten zu leiten: Und was würde Prinzessin Helena sagen, wenn sie aufwachte? Und wie sollte er den toten Vogel erklären?
Stattdessen fing er an, rastlos von Bauer zu Bauer zu laufen, um eine Stelle zu finden, wo er den toten Kakadu verstecken konnte. Er fand keine. Im Gegenteil, die anderen Vögel waren wieder zu sich gekommen und irrten wild in ihren Käfigen umher, als spürten sie den Geruch des Todes, den er mit sich führte.
Ab und an unternahm er eine Attacke auf ein besonders lautes Bauer, setzte sich breitbeinig darüber und stach von oben mit der langen Nadel hinein, allein wegen der Befriedigung, den Vogel umherflattern und aufgeregt am Gitter klammern zu sehen, nicht wissend, woher die scharfe Nadel kam.
Von den Bettvorhängen ertönte plötzlich eine Stimme:
Stasiu, Stasiulek …?
, sagte diese, überraschend sanft und mild.
Prinzessin Helena war erwacht. Über Herrn Tausendgeld hatte sie noch nichts erfahren, doch allmählich wurde sie rastlos und ungeduldig und wollte mit ihrem ungemein geliebten, wundervollen Neffen sprechen –
Staaa-siooo?
Er setzte sich rittlings auf ein anderes Bauer. Darin saß eine Drossel mit schönem gelbem Schnabel. Er kniff die Schenkel so fest zusammen, dass es im Unterleib herrlich zu kribbeln begann, stach dann die Nadel mit langen, schaufelnden Bewegungen zwischen den Beinen hindurch. Er blickte hinunter und sah die Drossel ihren verletzten Flügel schleppen. Im Kreis, immer im Kreis zog der Flügel, so als ersetzte er den Sekundenzeiger einer Uhr. Das Gezeter aus den anderen Käfigen war jetzt fürchterlich: eine Wand aus Lärm in seinen Ohren.
Prinzessin Helena witterte Unrat. Sie rief durch das Vogelgekreisch.
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Stasiu? Komm bitte her! Was machst du? Komm, komm, bii-tte …!
Er eilte von Bauer zu Bauer und kippte jedes, das er erreichte, zu Boden, hieb und stach auf die Vögel ein, die sich mit hilflos flatternden Flügeln in der Luft zu halten suchten. Die Nadel verrutschte in seiner klebrigen Hand. Beständig musste er den Griff wechseln. Am Ende ließ er die Nadel gänzlich fallen, riss eine Käfigtür auf und fuhr mit der ganzen Hand hinein.
Zwei Ringeltauben flogen beiseite, er fühlte ihre raschelnden Schwungfedern über sein Handgelenk streichen; eine andere hackte ihn zwischen die Knöchel.
Er zog die Hand zurück und blickte auf, sah Frau Regina in der Tür stehen. Sie stand dort zum Ausgehen angezogen, in der Hand einen Koffer, und mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie schon lange dort gestanden und nur darauf gewartet, dass er in ihre Richtung sah.
Du bist boshaft, boshaft, boshaft
, sagte sie nur und lächelte, als wäre ihr etwas bestätigt worden, was sie seit langem wusste.
Überall lagen tote Vögel. In den Teppichfalten unter den Stühlen und dem Tisch im Salon, entlang der Bodenleisten auf dem Korridor, auf der Schwelle zur Küche. Direkt hinter der Schwelle stand der Junge und sah seine Pflegemutter an. Die Hände, die den toten Kakadu hielten, waren blutbeschmiert. Auch an Hals, Wangen und um den Mund klebte Blut, und die Maske aus Blut verzerrte die Züge seines Gesichts, gab ihm einen Ausdruck leichter Bestürzung, der fast dem der Unschuld glich.
Doch in seinem Blick lag keine Unschuld. Der Junge betrachtete sie mit demselben trotzigen, fast leidenschaftlichen Hass wie zuvor. Regina packte ihn an der Hand, bevor er sie wieder an den Mund führen konnte – blickte einen Moment auf den blutigen Vogelkörper, an dem sich die kleinen Beinen tragisch ins
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