Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
fuhren über seine Wangen, seine Nasenwurzel, seine Brauen und seine geschlossenen Lider. Vorsichtig zog sie die Lider hoch und sah in die leblosen Augen des Elfs.
»Wenn die Augen das Sonnenlicht betrachten, behalten sie lange Zeit einen Eindruck davon, selbst wenn die Lider sich wieder geschlossen haben«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Sie behalten auch die Erinnerung an alles Erlebte, selbst an das, was sie nicht gesehen haben. Deshalb träumt man auch, und deshalb sind die Träume schöner als das Leben ... Nach dem Tod bleibt immer noch ein Hauch von Seele im Körper zurück und die Erinnerung an die letzten Augenblicke. Was zurückbleibt, ist das, was man vor seinem Tod gesehen hat.«
Mittlerweile hatten ihre Hände sich von Gaels kaltem Gesicht gelöst und bewegten sich einige Zoll darüber hin und her. Sie schloss die Augen und warf unvermittelt den Kopf nach hinten. Ihr Körper begann zu schwingen, kaum merklich zunächst, dann immer stärker, bis er von einem wilden und abgehackten Beben geschüttelt wurde. Nur ihre Hände, die noch immer mit einer langsamen Kreisbewegung über Gaels Gesicht glitten, schienen von diesen brutalen Zuckungen nicht berührt. Uther lief es kalt den Rücken hinunter. Mit einem Mal schien die Grotte eisig. War es möglich, dass die Temperatur schlagartig gesunken war, als hätte das Totenreich sich aufgetan?
Wieder kam Lliane ihm erschreckend vor. Genau wie auf der Lichtung war nichts mehr an ihr ... menschlich. Es wirkte, als kneteten und entstellten gräuliche Kräfte ihr reines Gesicht, trockneten es aus, verformten es zu einer fürchterlichen Fratze. Die Blässe ihrer Haut spielte ins Eisblaue, ihre langen Hände glichen Klauen, und ihre strahlenden grünen Augen funkelten wie die eines nachtaktiven Tieres. Es war zum Fürchten. Plötzlich stieß sie einen anhaltenden schrillen Schrei aus, bei dem ihnen allen fast die Trommelfelle platzten, und warf mit einer Kopfbewegung ihren Haarschopf nach vorn, ein schwarzer Schleier, der ihr Gesicht verhüllte.
Mit schmerzverzerrten Zügen und die Hände auf die Ohren gepresst, begann Uther ein heiseres Keuchen auszustoßen und taumelte unwillkürlich gegen die Wand zurück, ebenso entsetzt wie Frehir und Tsimmi.
Er hörte, wie sie heulten, aber ihre wahnsinnigen Schmer- zensschreie vermochten die schrille Beschwörung der Königin nicht zu übertönen. Er hatte den Eindruck, als bebe die Erde und begännen die Wände der Höhle zu bröckeln, drohten einzustürzen und sie alle unter sich zu begraben. In diesem unerträglichen Kreischen schwang das Geheul aller Höllenteufel mit, das Geschrei der Verdammten, das Schluchzen der armen Seelen, das Tosen der Flammen, das Pfeifen des Windes, das donnernde Ende der Welt ... Dann war plötzlich alles vorüber. Nur noch ihre pfeifenden Ohren und ihr hechelnder Atem.
Lliane bewegte sich nicht mehr. Von ihrem ganzen Leib ging ein bläuliches Leuchten aus und senkte sich wie Nebel über die Leiche Gaels. Uther hielt den Atem an und bemerkte, dass er zitterte und mit den Zähnen klapperte, dass er bis auf die Knochen durchgefroren war und nichts dagegen tun konnte.
Mit weit aufgerissenen Augen sah er, wie das Leuchten Form annahm, menschliche Form, nach und nach Gaels Umrisse nachzeichnete und sich wie eine Geistererscheinung von seinem Leib löste. Bald schon konnte er die Gesichtszüge des Elfs erkennen, seine Kleider, seine Glieder. Dann erkannte er den Becher, den dieser in der Hand hielt, und sah das Lächeln, mit dem er ihn zum Munde führte. Und schließlich machte er eine zweite menschliche Silhouette aus, die Blades, so wie er dem Elf einige Augenblicke vor seinem Tod erschienen war.
Seine schmerzenden Ohren vermochten nicht zu hören, was sie einander sagten, und dennoch verstand er ihre Sätze bruchstückhaft, als würden sie direkt in sein Gehirn geschrieben.
Er sah, wie Blade seinen Ring zeigte und Gael ihm auf dieselbe Weise antwortete, indem er die Hand ausstreckte, an deren Finger ein Schmuckstück gleicher Machart blinkte. Er sah Gael in einer Truhe wühlen und das silberne Kettenhemd hervorziehen. Er sah, wie er dem Dieb den Rücken zuwandte, um ihm zu trinken einzuschenken, dann, wie Blade nach einer Axt im Waffenständer griff und zuschlug.
Das war alles, was er sah.
Oisin lag zusammengerollt unter einer Decke und schnatterte. Das Gift bewirkte von Zeit zu Zeit so entsetzlich ziehende Schmerzen in den Eingeweiden, dass er aufschrie, dann vergingen sie wieder,
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