Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
vor den Bewohnern der Lüfte verbergen!
Ein kleiner weißer Fleck in der Nähe des Landungsstegs an den Sümpfen erregte seine Aufmerksamkeit und unvermittelt stürzte der Jagdfalke zu ihm nieder.
Es war eine Taube. Mit gebrochenem Hals tat sie die letzten Zuckungen und schlug verzweifelt mit den Flügeln, um dem Tod zu entgehen.
Der Raubvogel ließ sich sachte neben ihr nieder und betrachtete sie traurig.
»Es ist sinnlos zu kämpfen«, sagte er schließlich, und die Taube, die ihn nicht bemerkt hatte, schreckte auf beim Klang seiner Stimme. »Dein Hals ist gebrochen. Ich werde dir den Gnadenstoß geben, es wird nicht weh tun.«
»Nein!«, schrie die Taube. »Lass mich fortfliegen, Jagdfalke! Lass mich nach Hause zurückkehren, weit weg von diesen Sümpfen!«
»So bist du also gar nicht von hier? ... Ich habe mich schon gewundert, in einer solchen Gegend eine Taube zu treffen.«
»Mein Herr, Oisin der Fährmann, hat mich hierher mitgenommen. Lass mich nach Hause, Jagdfalke!«
Der Falke schüttelte sanft den Kopf.
»Das wirst du nicht schaffen, Taube. Dein Sturz war tödlich.«
»Ich bin nicht gestürzt!«, piepte der verletzte Vogel schwach. »Ein Mensch hat mir den Hals umgedreht. Und mein Herr hat mich allein gelassen!«
Der Falke stieß einen langen ohrenbetäubenden Schrei aus.
»Ich werde dich nicht töten, Taube. Hab keine Angst, du wirst leben und deinen Herrn bald wiederfinden.«
Die Taube hörte auf, gegen den Tod anzukämpfen und entspannte sich. Der Jagdfalke grüßte sie ein letztes Mal, entfaltete die Flügel und flog auf. Einige Sekunden lang segelte er über ihr, außer Sichtweite, dann stürzte er in Sekundenschnelle mit gestreckten Krallen auf den Vogel mit dem gebrochenen Hals nieder. Seine Klauen fuhren ins Herz und in den Hals der Taube und töteten sie auf der Stelle. Dann legte er sie wieder auf der Erde ab und flog zurück zu Till, dem Spurensucher. Das Leiden der Taube war vorüber.
Gwragedd Annwh
Es war eiskalt in dem Taubenturm, einem hohen, kreisrun- den Gebäude aus grauen Ziegeln, die über und über mit Taubenmist bedeckt waren und in das in alle Himmels-
richtungen Hunderte von Fluglöchern geschlagen waren. Als er eintrat, musste der Seneschall und Hausmeier des Palastes, Gorlois, sich die Ohren zuhalten. Der Lärm, den die unaufhör- lich gurrenden und flügelschlagenden Vögel veranstalteten, war ohrenbetäubend. Keine Sekunde verging, ohne dass eine der angeketteten Tauben versuchte loszuflattern und dabei erbarmungswürdig auf ihre Stange zurückgerissen wurde, ohne dass zwei Männchen sich flügelschlagend mit den Krallen angriffen oder dass das Geklapper der Schnäbel gegen die Steinplatten ertönte, auf denen Mais- und Hirsekörner zwi- schen dem Mist lagen. Gorlois rümpfte die Nase. Der Gestank, der hier im Turm herrschte, war unerträglich.
»Wie könnt ihr bloß einen solchen Lärm aushalten«, rief er den beiden Männern zu, die dort lebten, nur durch einen, ebenfalls von Mist bedeckten Bretterverschlag geschützt.
Die Gefangenen im Turm machten große Augen, sahen einander an und kamen dann, kopfschüttelnd und ein dümmliches Lächeln auf den Lippen, auf den Seneschall zu.
»Ach stimmt ja, ihr seid taub«, brummte der alte Soldat.
Taub und stumm. Der eine von Geburt an, der andere, weil man ihm die Zunge abgeschnitten und die Trommelfelle durchbohrt hatte. Eine Idee des Königs, um sein Gefangenen dasein erträglicher zu gestalten. Und wer außer einem Tauben hätte denn in diesem Lärm sonst überleben sollen? Natürlich war die Tatsache, dass die beiden stumm waren, auch eine Garantie dafür, dass die Nachrichten, die seinen Brieftauben anvertraut wurden, geheim blieben.
Die beiden Männer waren Straftäter, die sowohl dem Turmverließ als auch dem Beil des Henkers entgangen waren, um sie gegen diese stinkende Hölle einzutauschen, die sie nie wieder verlassen würden. Aber hatten sie denn Grund, sich zu beklagen? In jenen Zeiten wurde ein Verurteilter entweder freigekauft oder aufgehängt. Das Gefängnis war ein Luxus, in dessen Genuss nur wenige kamen. Und sie brauchten nichts weiter zu tun, als die Tauben mit den Körnern zu füttern, die man ihnen unter der Tür durchschob und die schließlich auch zu ihrer eigenen Nahrung geworden waren. Wenn ein Vogel eintraf, mussten die Turmwächter die Glocke läuten. Ein-, zwei- oder dreimal, je nach Wichtigkeit der Botschaft, die sie an der Farbe des Rings ablasen, der an einem Fuß des Vogels
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