Die Elfen 03 - Die Stunde der Elfen
an einem blutjungen Soldaten haften, der mit dem Rücken an einer Esche lehnte, ein Stück abseits der anderen. Er war unbehelmt und trug noch die Überreste eines Waffenrocks am Leib, der so tief aufgeschlitzt war, dass sogar sein wattiertes Ledergambeson zertrennt war und den Blick auf seine Haut freigab. Der Junge zuckte zusammen, als sie die Teile seines Gewandes entfernte, doch er ließ es sich gefallen. Er war so ermattet, dass er nicht einmal beruhigt werden musste. Drei parallele Risse zeichneten den zerfetzten Stoff und das Leder, vermutlich von den Klauen eines Wolfes, doch die Haut war unversehrt.
»Es ist alles gut«, sagte sie. »Dir fehlt nichts ...«
Sie strich ihm sanft über die Wange und war schon im Begriff, sich zu erheben, als das Kind sich an ihr festklammerte.
»Lasst mich nicht allein! Edle Dame, ich bitte Euch, lasst mich nicht allein!«
Er krallte sich an ihre Beine und hielt sie so fest umschlungen, dass Blodeuwez um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Es gelang ihr mit Mühe, sich loszumachen. Sie setzte sich neben ihn, und sofort warf er sich ihr in die Arme. Die Elfen kannten diese Hingabe nicht, dieses Kontaktbedürfnis, das für die Menschen so charakteristisch war. Fühlten die Menschen sich derart allein, dass sie diesen ausgeprägten Drang hatten, umarmt zu werden? Dieser hier zählte kaum mehr als zehn Jahre und wirkte bereits so groß wie etliche erwachsene Elfen; doch kein Elf seines Alters hätte eine solche Verzweiflung zeigen können. Wie war es nur möglich, dass diese Rasse so stark und so zerbrechlich zugleich war?
»Es ist überstanden«, raunte sie ihm ins Ohr. »Die Dämonen sind zurückgedrängt, und die Königin ist unter uns. Sie werden nicht wiederkommen ...«
Sie lächelte, ergriffen von ihren eigenen Worten. Es stimmte, Lliane war da, irgendwo, und sie selbst war ihr gefolgt, wie all die anderen, die sämtlich demselben Impuls gehorchend ihre sichere Zuflucht auf Avalon verlassen hatten, ohne dass sie sich abgesprochen hätten.
Blodeuwez rechnete nicht damit, dass der Junge antworten würde, und beim Klang seiner Stimme fuhr sie unmerklich zusammen.
»Nichts kann sie aufhalten«, bemerkte er. »Wir waren eine ganze Armee, vielleicht zweioder dreitausend Soldaten, aber so etwas habe ich noch nie gesehen ... Sie haben bei Nacht angegriffen. Mit einem Mal waren sie überall und heulten. Hammen loderten auf, das ganze Lager brannte lichterloh ... Messire Hugues bildete die Vorhut mit beinahe all den übrigen Rittern. Ich sollte auf sein Lastpferd und das Gepäck Acht geben, doch ich habe alles verloren ... Ich hatte Angst, versteht Ihr? Es waren Wölfe dabei, und einer meiner Brüder ist von den Wölfen gefressen worden, bei mir zu Hause, im Dorf, in dem Winter, als die große Hungersnot herrschte ... Also bin ich geflohen ... Und ich habe alles verloren.«
Blodeuwez musste ein Lächeln unterdrücken, doch die Verzweiflung des jungen Knappen war, auch wenn sie in Anbetracht des Blutbads, das er überlebt hatte, lächerlich erscheinen mochte, durchaus real. Der Verlust des Pferdes, von etwas Proviant und ein paar Mänteln degradierten ihn zum feigen, ehrlosen Versager, der gegenüber seinem Herrn eidbrüchig geworden war, seines Vertrauens unwürdig, und diese Aussicht schmetterte ihn nieder.
»Vielleicht ist er ja gar nicht mehr am Leben, dein Messire Hugues?«, meinte sie.
Das Kind wandte sich zu ihr um und starrte sie im Halbdämmer der aufkommenden Morgenröte mit einer Mischung aus Abscheu und Verblüffung an.
»Das kann nicht sein«, stammelte es. »Ritter können nicht einfach so sterben! Das wäre ... Das wäre zu schrecklich.«
Blodeuwez lächelte, strich ihm liebevoll über die Wange und legte ihn behutsam am Fuß des Baumes nieder.
»Natürlich«, sagte sie. »Ritter können nicht sterben ... Schlaf jetzt, ruh dich aus.«
Zaudernd zog ein blasser, grauer Tag herauf, der die nächtlichen Schatten zerdehnte, und die von dem fahlen Licht munter gewordenen Menschen standen nun auf und wagten sich einige Schritte von ihrem Schlafplatz fort, fast als schämten sie sich, einander so nahe gewesen zu sein. Sie waren ein gutes Stück von der Elfe entfernt, durch das wirr wuchernde Unterholz von ihr getrennt, und sahen vermutlich nicht genug, um sie zu bemerken, doch Blodeuwez floh, mit einem Mal von panischer Angst überwältigt, die sich bei jedem Schritt noch steigerte, und hier und da stoben genau wie sie selbst die Bandrui mit den
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