Die elfte Geißel
passiert?«
»Sie wurde vor die U-Bahn gestoßen. Und das Gleiche widerfuhr dem Mädchen, das sie begleitete. Es wurde als Selbstmord kaschiert.«
Léo steckte es weg. Er zwang sich dazu, sich nicht von Emotionen überwältigen zu lassen und rational zu handeln. Als Polizist.
»Ich ermittle meinerseits in einem Fall, in dem es um pädophile Filme geht. Die Psychoanalytikerin und Professorin von Amandine hat sie gefunden.«
»Clarisse Katz?«, entfuhr es Blandine.
»Ja, sie hat die Filme gewissermaßen mit mir gegen die Videos von Amandines Vergewaltigung getauscht. Aber wie sind Sie auf mich gekommen?«
»Ich bin zur Metrostation Haxo zurückgekehrt, dort, wo Alice – ich meine Amandine – aufgefunden wurde. Sie hatte etwas auf die Mauer geschrieben. Die gleiche Botschaft wie in dem Keller, den Sie entdeckt haben.«
»Das ist unmöglich ... Nicht sie ist in diesem Keller missbraucht worden. Maxime Kolbe hat das Haus des Vergewaltigers mit allen Beweisen im Inneren gefunden.«
Doch kaum waren ihr die Worte über die Lippen gekommen, als sich schon wieder Zweifel und Fragen bezüglich der Methoden von Maxime Kolbe meldeten.
»Ich dachte mir das Gleiche. Doch der Grafologe ist sich seiner Sache ganz sicher. Die beiden Inschriften stammen von derselben Person. Amandine hatte Fotos von diesem Haus in ihrer Wohnung. Man hätte geradezu meinen können, dass sie dessen Bewohner ausspionierte.«
Léo runzelte die Stirn.
»Während der gesamten Vernehmung sprach das kleine Mädchen immer wieder von einer roten Tür. Die Psychologen, die es behandelten, sagten, es leide an Halluzinationen und Alpträumen.«
»Weshalb sollte dieses Haus unentdeckt bleiben?«
»Das ist noch nicht alles. Die Filme, die im Umlauf sind, spielen in einem Zimmer, das bis ins Kleinste mit dem Keller übereinstimmt, in dem wir die Inschrift gefunden haben.«
»Könnte Amandines Ermordung mit alldem in Zusammenhang stehen?«
»Étienne Caillois, der Vergewaltiger von Amandine, sitzt noch. Aber das andere Mädchen? Haben Sie es identifiziert?«
Es dauerte eine Zeit lang, bis Blandine antworten konnte. Der Vergewaltiger von Amandine. Sie hatte das Gefühl, sich in einen Eisberg zu verwandeln.
»Nein, ich habe keine Spur von ihm gefunden. Es ist so, als hätte es nie existiert.«
Léo erinnerte sich an seinen Eindruck beim Anblick der Leiche. Das Mädchen sah Amandine im Kindesalter zum Verwechseln ähnlich.
»Ich muss es sehen.«
Lärmend betraten sie den Obduktionssaal. Ein Assistenzarzt im weißen Kittel wusch im hinteren Teil des Saals eine Leiche mit einem Schwamm, indem er deren Haut in kleinen Kreisen abrubbelte. Er hob den Kopf, als er Blandine und Léopold hereinschneien sah, und stürzte ihnen entgegen, um sie aufzuhalten.
»Sie dürfen diesen Saal nicht betreten. Würden Sie bitte zum Ausgang zurückkehren.«
Blandine hielt ihm ihren Dienstausweis vor die Nase.
»Polizei. Wir sind hier, weil wir in einem Kriminalfall ermitteln. Wir wollen Professor Firsh sprechen.«
Der Arzt setzte seine Brille wieder auf, um ihre Ausweise zu überprüfen, und stammelte:
»Firsh ... also Professor Firsh hat Sonderurlaub genommen ... er wird sich bei seiner Rückkehr mit Ihnen in Verbindung setzen ... also wenn er zurückkehrt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Wissen Sie nicht Bescheid? Professor Firsh bekam Besuch von Mitarbeitern der Abteilung für Interne Ermittlungen. Er hat gestern Abend auf unbestimmte Zeit den Dienst quittiert.«
Léo verstand nicht, wieso der Arzt einstweilen den Dienst quittiert hatte, ohne ihn davon zu unterrichten. Es sei denn, die internen Ermittler wollten ihn in Bezug auf Broissard ausquetschen. Da war es nur logisch, dass der Rechtsmediziner lieber den Ausgang genommen hatte, als den Aasgeiern zu helfen, seinen Freund zu verjagen.
Ein kurzer, stechender Schmerz. Léo fühlte sich schlecht, als ihm bewusst wurde, dass er keine Medikamente, keine Rezepte mehr hatte. Aber er hatte nicht die Zeit, um darüber nachzudenken. Noch nicht. Sein Körper würde sehr schnell reagieren. Er packte den Arzt am Kittel und schüttelte ihn.
»Wo ist die Leiche von Amandine Clerc?«
Der Arzt stieß einen kurzen Schrei aus und machte einen Satz zurück.
»Von wem sprechen Sie? Einige Leichen, die niemand zurückgefordert hat, wurden fortgebracht, um sie bei Lehrveranstaltungen an der Polizeiakademie zu verwenden.«
»Wie viele?«
»Ähm ... zwei. Ein Mädchen und ein Kind.«
Sprachlos schaute sich Blandine
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