Die elfte Geißel
Festnahme Broissard erzählt.
Überprüfung: Alain hatte sich mit Sun Crédit in Verbindung gesetzt, einer auf Kleinkredite und Firmenübernahmen spezialisierten Gesellschaft. Bestätigung: Gaspard Fogeti hatte dort ein Konto. Erkenntnis: Sun Crédit schien es mit dem Vorleben ihrer Kunden nicht besonders genau zu nehmen.
Léo gab den Namen der Firma in die Suchmaschine des Handelsregisters ein. Fehlanzeige. Sun Crédit existierte nicht mehr. Er rief im Gerichtsarchiv an und erkundigte sich nach Unterlagen über die Firma.
»Ich habe gefunden, wonach Sie suchen, Sun Crédit GmbH. Sie wurde vor einigen Jahren verkauft.«
»Wer hat sie gekauft?«
»Warten Sie ... Da haben wir’s, die Uriel Corporation. Eine internationale Holding, die Jésus Miguel Montoya gehört. Der Firmensitz befindet sich in Barranquilla in Kolumbien ...«
Léo legte auf, ohne seinen Gesprächspartner ausreden zu lassen. In seinem Kopf spielten die Ideen Jo-Jo, wobei sich die Fäden ineinander verhedderten.
Fogeti, der indirekt bei Montoya verschuldet war.
Fogeti, der im Prozess von Étienne Caillois aussagt, dass Montoya über seine Gesellschaft Uriel Corporation Geld wäscht.
Jésus Miguel Montoya.
Mist.
Ein Geschäftsmann mit einem Reklame-Lächeln.
Mist.
Mutmaßlicher Drogenbaron und Pornopapst.
Mist.
Ein fernes Klicken im Labyrinth seines Geistes. Er spürte vage, dass sich eine Spur abzeichnete.
Sich von seinen Emotionen nicht überwältigen lassen. Nicht schwach werden.
Er rief die Online-Ausgabe der Zeitung Les Échos auf. Die Aktien der französischen Großunternehmen im freien Fall. Kurssturz am Neuen Markt. NASDAQ und Dow Jones auf Talfahrt. Gefahr eines Börsenkrachs, eines »schwarzen Montags«. Prophezeiungen einer ökonomischen Katastrophe und des Zusammenbruchs der Börsen. Er sah sich die Notierungen im Einzelnen an. Inmitten der Wirren verzeichnete Montoyas Gesellschaft einen Kursgewinn von drei Prozent – sie war in blendender Form.
Anruf bei der Steuerfahndung. Im Visier: die Uriel Corporation.
»Wir überwachen das Unternehmen seit gut zehn Jahren. Aber es ist äußerst schwierig, belastbare Informationen darüber zu erhalten, und daher ist es praktisch unmöglich, die Finanztransaktionen im Einzelnen nachzuvollziehen. Die Holding ist auf sieben Länder verteilt. Rechtlich gesehen könnte allein Interpol ein Ermittlungsverfahren durchführen. Was die französische Seite anbelangt, so bekommen wir intern keinerlei Rückendeckung. Und da die Uriel Corporation Jahr für Jahr ihren Gewinn steigert, gibt es auch keine Klagen von Aktionären. Nichts, was uns als Vorwand dienen könnte, um etwas genauer nachzubohren.«
»Fazit?«
»Wir wissen, dass es dubiose Finanztransaktionen gibt, doch wir haben keine rechtliche Handhabe, um diese genauer unter die Lupe zu nehmen.«
Falls der Erzengel Montoya mit einem pädophilen Netzwerk in Verbindung stand, ließ sich dies nicht anhand einer eingehenden Prüfung der Konten seiner Holding beweisen.
Wenn er auf der Suche nach Beweisen ins Intranet der Firma eindringen würde, wäre nichts von dem, was er eventuell finden würde, gerichtlich verwertbar. Kein Richter würde ihm einen Durchsuchungsbefehl ausstellen.
Kurz und gut: Er stand mit dem Rücken zur Wand.
Ein E-Mail-Alarmsignal hallte in der Wohnung wider. Er klickte auf das E-Mail-Icon, und es verschlug ihm den Atem. Stairway to Heaven an Sérapion. Betreff: Wonderland.
Wenn dir die Abenteuer der gefallenen Kinder Spaß gemacht haben, wird dich die Fortsetzung vollends glücklich machen. Kontaktiere mich, wenn du interessiert bist, ich werde dir sagen, wie du dem weißen Kaninchen ins Wunderland folgen kannst.
Das diffuse Gefühl, dass die Decke gleich über ihm einstürzen wird. Léopold las die Nachricht noch dreimal durch, um sicher zu sein, alles verstanden zu haben.
Kein Zweifel. Es gab einen neuen Film.
Sich von seinen Emotionen nicht überwältigen lassen.
Nicht schwach werden.
36
Paris,
Altersheim,
Mordkommission
»Guten Tag, ich würde gern die Leiterin der Einrichtung sprechen.«
»Geht es um einen Aufnahmeantrag?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Paul Garcia und hielt der jungen Frau am Empfang seinen Ausweis hin. »Ich möchte ihr ein paar Fragen zu einem Fall stellen.«
Er setzte sich in einen der abgenutzten Sessel im Eingangsbereich, und während er sich umsah, überlegte er, was der Mutter von Amandine Clerc so große Angst gemacht hatte, dass sie sich umbrachte. Ganz
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