Die elfte Geißel
zweitausend Menschen, die bereit waren, Staub zu fressen, um den Hass auf eine Gesellschaft abzureagieren, die sie angelogen hatte.
Sehr schnell kam es zum ersten Zusammenstoß. Eine Gruppe von etwa zwanzig Jugendlichen stürmte plötzlich die Rue Pierre Lescot herunter und fiel der Formation der Gendarmen in den Rücken, die sich sogleich aufspaltete, um dem Hagel von Pflastersteinen und kleinen Flaschen auszuweichen. In der allgemeinen Verwirrung stürzten die Demonstranten in die Bresche – eine unförmige Masse von Armen und Beinen, die in einen Trichter gestopft wird, mitgerissen vom kollektiven Fieber. Molotow-Cocktails beschrieben im Süden und Westen brennende Arabesken. Und als Reaktion darauf wurden Gummigeschosse und Tränengasgranaten abgefeuert.
Paul Garcia hatte nur etwa hundert Meter zurückgelegt und befand sich auf der Höhe der Metrostation Étienne Marcel, als beide Seiten aufeinander losstürmten. Beim Zusammenstoßen wurde er von der ohrenbetäubenden Schallwelle förmlich niedergestreckt. Er sah dichte Wolken, die wie die Druckwelle eines Erdbebens mit hoher Geschwindigkeit die Fußgängerzone hinuntersausten. Er hatte nicht die Zeit, zu fliehen.
Binnen weniger Sekunden fand er sich inmitten eines gasförmigen Malstroms wieder, einer undurchsichtigen, erschreckenden Welt, in deren Rauschwaden die Blaulichter aufleuchteten wie in feinmaschigen Spinnweben. Der heiße Atem einer explodierten Granate breitete sich aus und defragmentierte den Raum. Solarisation der Szenerie. Optische Verzerrung. Strudel von Gedanken. Paul befand sich isoliert in einer ruhigen Zone und fragte sich, benommen, wie er es anstellen könnte, das Schlachtfeld zu verlassen.
Reizgas, war ihm sofort klar, als er spürte, wie sich in seinem Hals eine Lähmung breitmachte.
Er versuchte die Luft anzuhalten. Zu spät. Die Luftröhre verkrampfte sich. Seinem Kehlkopf entfuhr ein lang anhaltendes Rasseln, und die Tränenkanäle öffneten sich und überfluteten sein Gesicht mit Tränen. Mit eingeschränktem Gesichtsfeld, als würde er durch den Sucher einer Handkamera blicken, schleppte er sich über die Fahrbahn dahin und erbrach sich heftig. Er gewahrte Silhouetten, die schreiend die Nebelschleier durchquerten und sich um ihn herum verteilten.
Ohne zu überlegen, wollte er in einen Hauseingang fliehen. Rechts von ihm gab es kurze, heftige Detonationen, die rasch näher kamen und stärker wurden. Geschosse schwirrten durch die Luft, und ein regelrechter Kugelhagel durchsiebte die Vorderfront eines leeren Restaurants.
Paul wich zur Fassade eines Gebäudes zurück und zog seine Waffe. Der kalte Stein ließ den Schweiß, der seinen Rücken durchnässte, zu Eis erstarren. Warm und kalt. Leben und Tod. Ein übererregtes Gemüt, das in die Falle einer elementaren, unüberwindlichen Logik des Zweikampfes gegangen war. Er versuchte die Augen zu öffnen, um den unsichtbaren Feind ausfindig zu machen, aber das Gefühl, dass er sein Gesicht in eine giftige Flüssigkeit eingetaucht hatte, ließ ihn vor Schmerzen aufschreien. Seine rauch- und staubgesättigten Lungen brannten, und er krümmte sich in einem schweren Hustenanfall.
»Da ist einer!«, schrie eine Stimme ganz in der Nähe.
»Er ist bewaffnet!«, hörte er schreien.
»Wirf die Waffe weg!«
»Ich bin Polizist ...«, stammelte er.
»WEG MIT DER WAFFE!«
Seine Augen wollten sich nicht öffnen, und bei jedem Versuch blendete ihn das ziegelrote Licht auf der Straße.
»Ich bin von der Mordkommission!«
»Was? Was sagt er?«
Die Stimmen hallten wider, gedämpft durch den Zusammenstoß in einer Parallelstraße zwischen einer Gruppe von Demonstranten und Männern der Bereitschaftspolizei. Garcia machte sich das Durcheinander zunutze, hob seine Waffe leicht an und schob eine Hand in seine Jacke, um seinen Dienstausweis herauszuziehen.
»Ich bin von der ...«
»WEG MIT DER WAFFE!«
Der Flash Ball entlud sich und unterbrach jäh die Geste des Lieutenant. Zweihundert Joules voll in den Kopf. Fünfunddreißig Quadratzentimeter Kautschuk zwischen die Brauen.
Die Töne erstarben, und Paul wollte schreien, aus Furcht, taub zu sein, doch seiner Kehle entrang sich keine vernehmbare Klage. Die Schläge seines Herzens, das Brausen seines Blutes – alles war in einer so reinen, so vollkommenen Stille verschwunden, dass der junge Polizist den Eindruck hatte, Gott persönlich flüstere ihm ins Ohr. Die Zeit verrann außerhalb von ihm, und die ganze Stadt vollführte einen
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