Die elfte Jungfrau
änderte sofort seine Richtung.
»Ich habe gebeichtet, Pater Leonhard, und mein Gewissen ist rein. Meine Sünden habe ich bereut und Buße getan«, ließ sie sich laut vernehmen.
Pater Ivo war hinzugetreten und meinte: »So will ich doch hoffen, Begine. Und neue Vergehen sind seit gestern nicht hinzugekommen, oder?«
»Wer seid Ihr, Benediktiner?«
Pater Leonhard fühlte sich augenscheinlich von dem Mönch unliebsam unterbrochen. Dieser musterte ihn eingehend von oben bis unten, betrachtete die glänzend gebürsteten Locken, nahm den wertvollen Stoff seines samtbesetzten Talars wahr und sein aufwändig gearbeitetes Schuhwerk und ließ seinen Blick einen Moment sinnend auf den violetten Seidenstrümpfen verweilen, die man daraus hervorblitzen sah. Dann stellte er sich mit kühler Arroganz vor.
»Ivo vom Spiegel. Pater im Kloster zu Groß Sankt Martin.«
»Ihr seid es, der sich angemaßt hat, als Beichtiger für meine Beginen aufzutreten? Ich hörte von Euch!«
»Und ich hörte orientalische Potentaten mit ihren Konkubinen prahlen, doch noch nie hörte ich einen Pfarrer von seinen Beginen sprechen.«
Pater Leonhard musste nach Luft schnappen.
»Ihr scheint Euch für einen Mönch in höchst unpassenden Kreisen zu bewegen!«, befand er dann, und Almut biss sich auf die Zunge, um sie ruhig zu halten.
»›Ich beschaffte mir Sänger und Sängerinnen und die Wonne der Menschen, Frauen in Mengen, und war größer als alle, die vor mir in Jerusalem waren.‹«
»Schandbar, unhaltbar. Ein Frevel! Euer Hochmut, Eure Anmaßung kennen keine Grenzen.«
»Eure Unwissenheit offensichtlich auch nicht. Wie habt Ihr es nur geschafft, die Priesterweihe zu erhalten? Seid Ihr des Lesens überhaupt kundig?«
»Ich... ich …«
»Pater Leonhard, ich habe Euch kürzlich schon einmal auf das Buch des Predigers Salomo aufmerksam gemacht. Es ist ein so lehrreiches Werk. Doch, Pater Ivo, Ihr müsst verstehen, die häuslichen Pflichten nehmen viel Zeit des Priesters in Anspruch, seit ihn seine Haushälterin verlassen hat. Da wird er nicht dazu gekommen sein, in seiner Bibel zu lesen.«
Almut hatte sich eines sehr mitleidigen Tones befleißigt, der den plötzlichen Argwohn Pater Leonhards weckte.
»Meine persönlichen Angelegenheiten, Frau Almut, habt Ihr hier nicht zu erörtern. Überhaupt habe ich es Euch mehrfach verboten, über Bibelstellen zu disputieren.«
»Ich hingegen habe es angeregt und festgestellt, dass die Begine einen ausgezeichneten Geist besitzt und immer die rechte Auslegung der heiligen Worte findet.«
»Ihr habt es angeregt? Ja, wisst Ihr denn nicht, welchen Schaden Ihr damit anrichtet? Weiber haben die Heiligen Schriften nicht auszulegen. Der Erzbischof selbst untersagt es.«
»So wie er ja auch den Geistlichen untersagt, sich Konkubinen zu halten und Bastarde zu zeugen«, gab Almut ihm lächelnd zurück.
Pater Ivos Blick streifte ihr Gesicht fragend den Bruchteil eines Atemzugs lang, dann hatte er verstanden.
»Aber nicht jeder Priester hält sich daran, fürchte ich, nicht wahr, Pater Leonhard?«
Der war nun blutrot angelaufen und kämpfte um seine Fassung. Almut fügte sanft hinzu: »Ich hörte, Corinne Beckersche und ihr Kind sind jetzt häufig auf dem Berlich anzutreffen, Pater Leonhard.«
»So hat der Erzbischof Eure wahrhaft christliche Einstellung gefördert, Pater Leonhard?«, stellte Pater Ivo fest. »Wie löblich.«
»Den Mangel, den er durch diese fromme Haltung erlitt, Pater Ivo, wünscht unser geschätzter Pfarrer mit seinen beharrlichen Bitten zu beheben, ich möge seine Haushälterin werden. Doch wollen mir die Aussichten für meine Zukunft nicht recht gefallen.«
Pater Leonhard sah aus, als würde ihn sogleich der Schlag rühren, und der Benediktiner rügte Almut milde: »Begine, nun muss ich Euch zur Mäßigung und zum Mitleid aufrufen. Ihr wisst doch: ›Auch wenn ein Tor auf der Straße geht, fehlt es ihm an Verstand, doch er hält jeden anderen für einen Toren.‹ Und ihr, Kinder, hört sofort auf zu lachen!«, fuhr Pater Ivo die drei Mädchen mit einem gekonnten Donnergrollen an. Sie gehorchten umgehend.
Pater Leonhard suchte sein Heil in der Flucht.
»Scheinheiliger Schmarotzer!«, knurrte Pater Ivo. »Ist er Euch zu nahe getreten, Begine?«
»Ein wenig. Aber ich konnte mich seiner erwehren. Und von nun an, so bin ich mir sicher, wird es keine weiteren Belästigungen mehr geben.«
»Wenn doch, gebt mir Bescheid. Ich bin bereit, auf die Grundsätze meines geistlichen Standes
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