Die Enden der Parabel
kommt da Wärta! Nö, da's okay, Looie, da tickt schon richtig. Die anderen lachen. Dann was willa hier drin, ha? Die weißen Lichtstangen brummen von der Decke. Graubekittelte Hilfskräfte schwatzen, rauchen, trödeln mit Routinearbeiten herum. Vorsicht, Lefty, sa kommen for dir diesma. Paßt nur auf, kichert Maus Alexei, wenna mir packt, scheiß ich ihm genau in da Hand! Bessa nich hey, denk mal dran, wasse mit Slug gemacht ham! Gagrillt hamsn, wie
er das gemacht hat, Mann, als er sich zum erstnmal im Labyrinth valaufn hat. Mit hundat Volt. Saagn, 's wa 'n "Unfall". Yeah ... weas glaubt!
Von oben, aus einer deutschen Kameraeinstellung, überlegt sich Webley Silvernail, ist auch dieses Labor ein Labyrinth, stimmt's oder nicht? Behavioristen suchen ihre Wege zwischen diesen Tischen und Konsolen wie Ratten und Mäuse. Ihre Verstärkung ist keine Futterpille, sondern ein geglücktes Experiment. Doch wer beobachtet sie von oben, wer registriert ihre Reaktionen? Wer hört diese kleinen Tiere in den Käfigen, wenn sie sich paaren, ihre Jungen säugen, sich durch die grauen Vierecke hindurch unterhalten oder, wie jetzt, zu singen beginnen ... Sie haben ihre Käfige sogar verlassen, sind zur Größe Webley Silvernails gewachsen (obwohl keiner vom Laborpersonal das zu bemerken scheint) und tanzen jetzt mit ihm durch die langen Gänge, vorbei an den metallenen Apparaturen, während Conga-Trommeln und ein tropisches Orchester mit dem Rhythmus und der Melodie eines aktuellen Hits einfallen:
PAWLOWIEN (BEGUINE) Frühling war's in Pawlo-o-wi-en,
Ich irrte durchs Labyrinth,
Lysol durchduftete die Luft,
Hier drinnen wehte kein Wind ...
Dann fand ich dich, verirrt wie mich,
Du schienst so furchtbar jung,
Wir tauschten Nasengrüße aus
Mein Herz tat einen Sprung!
Gemeinsam fanden wir hinaus
Und teilten uns die Belohnungen
Wie einen Abend in einem kleinen Cafe,
Vor dem Abtransport in unsere Wohnungen ,
Und schon ist es Herbst in Pawlo-o-wi-en,
Und ich bin wieder allein ...
Meine Einsamkeit mißt in Millivolt
Durch Rückenmark und Gebein.
Und ich denke an unser kleines Cafe
Und weiß deinen Namen nicht
-Denn sie lassen dir nichts in Pawlo-o-wi-en
Als ein Labyrinth ohne Licht...
Die Ratten und Mäuse tanzen in sich verschlingenden Ketten, formieren sich zu Kreisen, schlagen ihre Schwänze rhythmisch nach innen und außen, um abwechselnd Chrysanthemen- und Sonnenmuster zu zeichnen, und laufen schließlich zur Gestalt einer einzigen Riesenmaus zusammen, als deren Auge ein strahlender Silvernail posiert, die Arme zu einem V erhoben, mit dem er die letzte Note des Songs, gemeinsam mit dem gigantischen Nagerchor und der Band, unterstützt. Ein Propagandaflugblatt, eines der klassischen Meisterwerke der PWD, fordert in diesen Tagen den Volksgrenadier auf: SETZT V 2 EIN!, darunter eine Fußnote, die erklärt, daß mit "V 2" die Armhaltung gemeint ist, mit der man sich ehrenvoll ergibt (nichts gegen Galgenhumor), und in phonetischer Umschreibung die Worte mitliefert, die man dabei auszusprechen hat - "ei ssörender". Steht Webleys V hier für Victory oder für Ssörender?
Sie haben ihren Augenblick der Freiheit gehabt. Webley Silvernail war nur der Gaststar. Jetzt geht's zurück in die Käfige und zu den rationalisierten Formen des Todes - des Todes im Dienst jener einzigen Gattung, die mit dem Bewußtsein ihrer Sterblichkeit geschlagen ist... "Ich würde euch befreien, wenn ich nur wüßte, wie. Aber hier draußen gibt es auch keine Freiheit. All die Tiere, Pflanzen, Steine, ja sogar andere Gattungen Mensch, sie alle werden jeden Tag zerbrochen und wieder neu zusammengesetzt, nur um die Elite der Wenigen zu erhalten, die am lautesten über Freiheit theoretisieren und selbst am wenigsten frei sind. Ich kann euch nicht mal Hoffnung machen, daß sich das ändern wird - daß SIE eines Tages aus ihren Verstecken kommen, den Tod und die durchdachten Schrecken ihrer Technologie vergessen und damit aufhören, jede andere Form des Lebens gnadenlos zu benutzen, um das, was die Menschen quält, auf ein erträgliches Maß zu bringen -daß SIE so sein könnten wie ihr, einfach da, einfach lebendig... " Der Gaststar geht durch die Korridore ab.
Fast alle Lichter sind gelöscht bei der "Weißen Visitation". Der Himmel dieser Nacht ist dunkelblau wie ein Marinemantel, die Wolken in ihm sind erstaunlich weiß. Der Wind bläst scharf und kalt. Zitternd schleicht der alte Brigadier Pudding auf einem Weg, den er allein kennt, aus seinem
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