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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Militärcouturiers Heini aus Berlin. Sie umfaßt nicht nur Kostüme, die, bis hinab zu auffällig bunt über die Zehennägel flimmernden Fernsehprojektionen, berückend genug wären, um selbst das erste jugendliche Liebespaar einer Weltraumoperette zu berauschen, nein, Heini hat auch an Seidendressen für die amüsanten kleinen Raumjockeys mit den elektrischen Peitschen gedacht, die eines Tages knapp außerhalb der schimmernden Lichtkuppel der Raketenstadt über den Himmel zoomen werden, reitend auf Rössern aus hochglanzpoliertem Meteorstein, die alle das gleiche, stilisierte Gesicht haben (ein harter Kontrast zum Bild des Pferdes, das dir folgt, Betonung auf dem irren Blick, den Zähnen, der Dunkelheit unter seiner Schwanzwurzel...) und aus ihren Hinterteilen rückstoßerzeugende Gase wie Fürze entweichen lassen - das erste jugendliche Liebespaar kichert über diese Anzüglichkeit, dann läßt es sich, strahlend im Glanz seiner Garderobe aus fluoreszierenden Kunststoffen, mit kaum mehr als einem leisen Seufzer von Schwerkraft zurück in seinen Walzer sinken, diesen eigentümlich volksgemeinen Walzer der Zukunft, der jetzt einen leicht, doch beunruhigend körnigdissonanten Choral in die
    wirbelnde Stille der Gesichter mischt, der nackten Schulterblätter hier, so weltraumwienerisch umschlungen, so übersatt von all diesem Morgen ... Dann kommen - die Raumhelme! Man mag zuerst entsetzt sein, wenn man bemerkt, daß sie anscheinend aus Totenschädeln hergestellt worden sind. Zumindest die Oberschale dieser unerfreulichen Kopfzier ist mit Sicherheit die Schädeldecke eines menschenähnlichen, doch größer dimensionierten Lebewesens ... Vielleicht hausten einst Titanen unter diesem Berg, deren Schädel man geerntet hat wie Riesenchampignons ... In die Augenhöhlen sind Quarzlinsen eingesetzt. Filter können zusätzlich eingeschoben werden. Das Nasenbein und die obere Zahnreihe sind durch eine metallene Atmungsapparatur mit zahlreichen Schlitzen und Gittern ersetzt. An Stelle des Unterkiefers findet sich ein künstlicher, vielleicht ein Funkgerät beherbergender Anbau aus Stahl und Hartkautschuk, fast von der Form einer ins Gesicht verpflanzten mittelalterlichen Schamkapsel, der schwarz und fatal nach vorne ragt. Für ein paar Mark extra darf man einen von den Helmen anprobieren. Und steckt man erst einmal in dieser gelben Höhle, blickt durch die neutralgrau gefilterten Augenhöhlen, hört seinen eigenen Atem in den leeren Knochenräumen zischen und hallen, dann ist das, was man für sein natürliches geistiges Gleichgewicht gehalten hatte, nur eine schwache Stütze. Die Kammern, in die das Schwarzkommando einquartiert war, haben nichts mehr mit amüsanten Reiseberichten von wilden Eingeborenen, die 21. Jahrhundert spielen, gemein. Die Milchkalebassen scheinen nur aus irgendeinem Kunststoff imitiert. An der Stelle, wo Enzian, gemäß der Überlieferung, in einem feuchten Traum seine Erleuchtung gehabt haben soll, als er mit einer schlanken, weißen Rakete kopulierte, sieht man einen dunklen Fleck, der wunderbarerweise immer noch feucht ist und nach etwas riecht, von dem man begreift, daß es Samen vorstellen soll, obwohl es in Wahrheit mehr an Seife oder Bleichmittel erinnert. Die Wandzeichnungen verlieren ihre beabsichtigte primitive Unbeholfenheit und gewinnen eine primitive Räumlichkeit, eine leuchtende Tiefe - verwandeln sich tatsächlich in Dioramen über das Thema "Das Versprechen der Weltraumreisen". Scharf vom Licht der Karbidlampe getroffen, die zischt und stinkt wie der faule Atem eines Jemand, den man ziemlich gut kennt, saugen die Bilder deine Blicke in sich hinein. Nach wenigen Minuten wird es möglich, dort unten wirkliche Bewegungen zu erkennen, selbst auf die riesige Entfernung, die der kleine Maßstab impliziert: ja, wir sind im Anflug, auf dem letzten, absteigenden Ast unserer Bahnkurve zur Raketenstadt, die lange Nacht der magnetischen Stürme liegt hinter uns, in unserem Stahl glimmen noch, wie Regentropfen, die an Autofenstern hängen, die letzten elektrischen Wirbelströme ... ja, es ist eine Stadt: vegetabilisches "Donnerwetter!" und "Nicht übel, was?" verklingt nachhallend, während sich unsere Gruppe um die blühende Fensteröffnung dieser salzigen Unterwelt drängt... Seltsamerweise sehen wir nicht die Symmetrien, die wir programmiert waren zu erwarten, nicht die Flossen, die stromlinienförmig gerundeten Ecken und Pylonen oder soliden, simplen Symmetrien der amtlichen Vision die gilt nur

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