Die Enden der Welt
schäbige Münze wird die gewünschte Tracht angelegt, die gewünschte Position eingenommen, das gewünschte Gesicht gemacht. Auch die Wüstensöhne muss man sich zurechtbiegen, auch sie kann man schließlich nicht lassen, wie sie sind. Man sieht ja, wo das endet. Besser, man lässt ihnen ein wenig Regie angedeihen, denn schließlich hängt an jedem Blick auch ein ausgestreckter Arm und an jedem Arm öffnet sich eine verlangende Hand in ihrer Greifbewegung, und manchmal, ganz selten, trifft der eigene Blick überraschend das Augenpaar eines Menschen, der da bloß sitzt und eine Art Mitgefühl zeigt für dich, der du ausgesetzt bist.
Und dann weicht man zurück durch die versteinerten Blicke verhüllter Muselmaninnen, die passiv grüßen, als wollten sie einen tiefer in die Kinderhorden, die Rudel der Krückenträger, die mit den winkenden Beinstummeln drücken, und es fällt einem auf, dass man zu keinem einzigen dieser Gesichter eine Geschichte zur Hand hat. Da ist nur die Fähigkeit, nicht zu verstehen, und was man mitbringt an Sympathie, Mitbewegung, Teilnahme, das kann man nur in das mimische Idiom des eigenen Kulturkreises übersetzen, das hier nicht immer verstanden wird.
Man wandert durch den Blick der Bettler. Sie müssen die Augen nicht mehr auf den Handteller senken, um zu wissen, was ihn beschwert. Die Touristen empfinden vage, dass diese Kreaturen schon durch die Begegnung mit ihnen, den von weit Herkommenden, geadelt werden, und eine Frau, die den Tuareg ein westliches Einwickelpapier verehrte, belehrt ihre Freunde:
»Wieso, das ist doch für die was ganz Tolles, Seltenes, so ein Papier.«
Es reicht offenbar, dass die Geste des Gebens durch die Anwesenheit des Fremden beglaubigt wird, und schließlich ist das Strohfeuer der Euphorie über die eigene Anwesenheit an diesem Wüstenort rasch abgebrannt. Mühen stellen sich ein, Plagen, Lasten. Oder es trifft dich ein Blick eines dieser Sitzenden, ein Blick, der dir nicht gilt und in dem sogar Beileid mitschwingt, Beileid für das Leben, das du herangeschleppt hast und wieder mit dir nimmst.
Auch der allgegenwärtige Knabe Indigo blickt mich aus einem Leben an, das ich nicht mal bewundern kann, so wenig, wie ich es kenne. Im matten Strahl dieses Blickes schwingt die Armut abermals, aber gereinigt von der Bedürftigkeit und dem Betteln, eher als ein Zustand der Entsagung, der Würde in einem Verzicht, von dem du Lichtjahre entfernt lebst. Dort, wo der Anspruch schon erloschen ist, dort ist die Armut verzweifelter noch, ohne Ausdruck, und wenn sie anfängt zu sprechen, gibt es zu diesem Sprechen kein wahres, aufrichtiges, echtes Verhalten.
Das Strandgut rund um den Flughafen: Der Europäer kommt aus dem Zustand des Wartens hier nie heraus, der Einheimische ist nie in ihn eingetreten. Da ist Fatima mit dem lüsternen Mund, den schmachtenden Augen und einer weißen, halb durchsichtigen Bluse, die um ein großes Schwellen gerafft ist. Von Zeit zu Zeit blickt die Thronende kontrollierend auf ihre Brüste herab, und kommt ein Fremder vorbei, gestikuliert sie mit ihnen.
In eine Ecke hat man einen Fernsehschirm montiert, auf dem Videofilme zu sehen sind. Die kleinen Jungen lungern in Trauben herum und können sich nicht entscheiden, was fesselnder ist, der Anblick des Films – Bertrand Bliers »Abendanzug« – oder der Anblick des weißen Paares, das wir sind.
Als im Film plötzlich zwei Männer nackt im Bett liegen, hat er die ganze Aufmerksamkeit der Kinder, doch ein Alter drischt mit dem Regenschirm in das Rudel und ruft:
»Ce n’est pas pour vous!«
Die Jungen feixen, stieben auseinander und nehmen in einigem Abstand die Konstellation des Rudels wieder an. Ein Älterer mit arrogant geschwungenen Augenbrauen, ein Kleiner im ärmellosen Mädchenblouson, ein rabiater Kaugummikauer in vollem Sportdress, der kleine Clown, der immerzu an einer Stange auf und ab rutscht und Grimassen schneidet: die Gang auf Bereitschaft.
Ein prachtvoll gekleideter Alter kommt heran und legt mir die Hand auf die Schulter:
»Tag, mein Kleiner!«
»Mein Kleiner?«
»Ich bin 1926 geboren.«
Er schreibt die Jahreszahl dreimal untereinander auf den eigenen Handteller und hält sie mir dicht vor die Augen.
»Schau, wie ich lebe. Schon habe ich das Dreifache meiner Lebenserwartung erreicht!«
Auch der Junge Indigo treibt sich hier herum, sehr schüchtern, ein stummer Begleiter. Immer sieht er von außen zu, in seinen Umhang gehüllt, ein sandfarbenes Stück Leinen. Manchmal
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