Die Endzeit Chroniken - Nemesis (German Edition)

die kühle Luft, an die Cassidy sich inzwischen schon gewöhnt hatte. An einem langen Flur, der sich über die gesamte Breite des Gebäudes erstreckte, hingen hunderte von Zetteln und Plakaten, die über kommende Veranstaltungen und Vorlesungen informierten.
    Jenny kannte sich natürlich aus und würdigte die Ausschreibungen keines Blickes, sondern nahm Cassidy an die Hand, damit sie ihr auf den belebten Fluren nicht verloren ging, auf dem dutzende von Studenten hin und her eilten. Eine Treppe hinauf, dann eine Neunzig-Grad-Drehung nach rechts und sie hatten den Eingang erreicht. Auf einem Schild vor dem Saal stand mit typischem Ärztegekrakel: Medizin 12C – Prof. R. Carmykel – 10.00-14.00 Uhr
    »Letzte Möglichkeit es dir anders zu überlegen«, sagte Jenny und tippte dabei auf die angegebene Zeitspanne von vier Stunden.
    »Muss ich dazu irgendetwas wissen? Werden da Fragen gestellt?«, antwortete Cassidy nervös. Ein Blick in den mit etwa fünfzig Plätzen besetzten Saal sorgte in ihr für ein etwas mulmiges Gefühl.
    »Nur wenn den Professor nervst«, meinte Jenny. »Na dann komm!«
     
    ***
     
Jade führte Angel unterdessen zurück zum Themis-Tempel. Dabei kamen sie an dem Friedhof vorbei, über den sich die Ausreißerin in der Nacht geschlichen hatte. Im Tageslicht leuchtete der künstliche Rasen in sattem Grün, als wäre die Klimaerwärmung nur eine Modeerscheinung gewesen. Die unzähligen kleinen Grabplatten strahlten in blendend poliertem Weiß.
    Angel blieb nachdenklich am Straßenrand stehen. »Erklärst du mir jetzt endlich, was es mit dieser Sophia auf sich hat?«
    »Hat dir Scarlet das nicht erzählt?«, fragte Jade etwas überrascht.
    »Irgendwas mit Söldnern und der Legion. Sie hat auf der Zugfahrt so viel geredet, dass irgendwann alles zu einem Ohr rein und zum anderen wieder rausging.«
    Jades Augenbrauen zuckten kurz nach oben, als traute sie ihren Worten nicht ganz, setzte dann aber zu einer Erklärung an.
    »Sophia hat von 2041 bis 2049 eine Söldnertruppe namens Prätorianische Legion angeführt und dabei in so ziemlich jedem Krieg mitgekämpft, mit denen die damaligen Regierungen versucht haben, ihren Untergang aufzuhalten. Als dann alles zu spät war, mussten sie sich allein durchschlagen und waren nicht viel mehr als eine Gang, bis sie auf die Sicarii trafen. Die Sekte stand kurz vor der Auslöschung durch andere Gangs. Zu der Zeit wurden sie von einem Historiker namens Goodwin geführt, der zwar gut mit Menschen konnte, aber von Krieg keinen blassen Schimmer hatte. Die Sicarii galten als Blumenmädchen der Endzeit und wurden permanent herumgestoßen.«
    Während Jade redete, öffnete sich das Tor in der Mauer und eine Gruppe von etwa zwanzig Prätorianern mit ihren ikonischen, schwarzen Baretts marschierten heraus. Allen voran der Anführer der Sigma-Lanze, Lance Commander Anderson, mit einer kleinen, rechteckigen Metallplatte in der Hand.
    »Zu Beginn war Sophia mehr an den Mockingbirds und den Xerant interessiert. So nannten sich die Gangs, die fast das Ende für die Sicarii bedeutet hätten. Die pazifistische Sekte stellte keine Bedrohung für Sophia dar und wurde von ihr ignoriert. Gegen die Übermacht der Söldnerarmee mussten sich die Gangs zusammenschließen und schafften es irgendwann, Sophia in einen Hinterhalt zu locken. Die Legion schleppte sich geschlagen nach Sicariia, der einzigen noch verbliebenen Siedlung, die ihnen nicht an den Kragen wollte. Goodwin erkannte, dass Sophia seine letzte Chance war, und half ihren Truppen zurück auf die Beine. Im Gegenzug verteidigte sie Sicariia.«
    »Ein tolles Märchen«, sagte Angel. »Und wenn sie nicht gestorben sind ...?«
    »Ich hab die Geschichte nicht geschrieben«, rechtfertigte sich Jade. »Das glückliche Ende kommt aber erst noch, denn Sophias Truppen konnten die verbliebenen Sicarii trainieren und führten schließlich einen Schlag gegen beide Gangs aus. Die Xerant wurden völlig aufgerieben und die Reste der Mockingbirds gingen in Sklaverei. Das war damals noch ein neues Konzept für die Sicarii, aber nach der Zerstörung ihrer Ländereien haben es die meisten akzeptiert. Anders wäre der Wiederaufbau nicht zu bewältigen gewesen und man nannte es schlicht Reparationszahlungen.«
    »Und wann kommt der Teil, in dem du mir euer selbsternanntes Imperium erklärst?«, fragte Angel. »Bisher hört sich das nicht viel anders als die Geschichte der Ranger an.«
    Die Prätorianer hatten sich um eine Stelle an der Tempelmauer