Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
stellte sich heraus, dass er eine Reihe von schlechten Geschäften abgeschlossen hatte. Es blieb nicht viel Geld übrig, und da Laura nicht arbeitete, ging auch der Rest langsam, aber sicher zur Neige. Hätte Inez nicht Rune geheiratet, wäre Laura vermutlich arm wie eine Kirchenmaus gewesen.«
»War mein Vater reich?«, fragte Ebba. Sie hielt sich die Kopie direkt vors Gesicht, um sich kein Detail entgehen zu lassen.
»Reich würde ich es nicht nennen, aber es ging ihm doch so gut, um Laura einen standesgemäßen Alterssitz auf dem Festland zu finanzieren.«
»Aber als meine Eltern verschwanden, lebte sie doch nicht mehr, oder?«
Erica blätterte in ihrem Notizbuch.
»Stimmt. Laura starb 1973 an einem Herzinfarkt. Übrigens auf Valö. Runes älterer Sohn Claes fand sie hinter dem Haus. Da war sie bereits tot.«
Erica leckte den Daumen an, blätterte den Stapel durch und fischte einen fotokopierten Zeitungsartikel heraus. »Der Bohusläningen hat darüber berichtet.«
Ebba nahm das Blatt in die Hand und las den Text.
»Meine Großmutter scheint hier eine Berühmtheit gewesen zu sein.«
»Ja, Laura Blitz kannte jeder. Sigvard hat sein Geld als Reeder verdient, und es wurde gemunkelt, er habe während des Zweiten Weltkriegs Geschäfte mit den Deutschen gemacht.«
»Waren sie Nazis?« Ebba sah Erica entsetzt an.
»Ich weiß nicht, wie weit ihr Engagement ging«, antwortete Erica zögernd, »aber es war allgemein bekannt, dass sie mit den Nazis sympathisiert haben.«
»Meine Mutter auch?«, fragte Ebba mit weit aufgerissenen Augen. Anna sah Erica drohend an.
»Davon weiß ich nichts.« Erica schüttelte den Kopf. »Niedlich, aber ein bisschen naiv. So wird Inez meistens beschrieben. Und sie stand vollkommen unter der Fuchtel Ihrer Großmutter.«
»Vielleicht erklärt das die Ehe mit meinem Vater.« Ebba biss sich auf die Lippe. »War er nicht auch ein autoritärer Typ? Oder bilde ich mir das nur ein, weil er ein Internat geleitet hat?«
»Da scheint tatsächlich etwas dran zu sein. Er soll ein ziemlich strenger und harter Mensch gewesen sein.«
»Stammte meine Großmutter aus Fjällbacka?« Ebba griff erneut nach dem Foto von der grimmigen Frau.
»Ja, ihre Vorfahren lebten seit mehreren Generationen hier, und ihre Mutter Dagmar wurde 1900 in Fjällbacka geboren.«
»Sie war also … zwanzig, als sie meine Großmutter bekam? Wahrscheinlich war es zu der Zeit nichts Ungewöhnliches, so früh ein Kind zu kriegen. Wer war denn der Vater?«
»In der Geburtsurkunde steht ›Vater unbekannt‹. Und Dagmar war ziemlich speziell.« Erica feuchtete wieder ihren Finger an, blätterte weiter und zog ganz unten ein Blatt Papier aus dem Stapel. »Dies ist ein Auszug aus den Gerichtsakten.«
»Wegen Vagabundierens verurteilt? Ging die Mutter meiner Großmutter auf den Strich?« Ebba sah Erica fragend an.
»Sie war alleinerziehende Mutter eines unehelichen Kindes und tat wahrscheinlich, was zum Überleben nötig war. Das kann nicht leicht gewesen sein. Einige Male wurde sie auch wegen Diebstahls verurteilt. Dagmar galt allgemein als ein bisschen verrückt und trank zu viel. Einige Dokumente belegen, dass sie längere Zeit in einer Nervenklinik untergebracht war.«
»Meine Großmutter muss eine schreckliche Kindheit gehabt haben«, sagte Ebba. »Kein Wunder, dass sie ein Scheusal geworden ist.«
»Nein, Dagmar als Mutter zu haben war bestimmt nicht einfach. Heute würde man es mit Sicherheit als Skandal bezeichnen, dass Laura bei ihr blieb. Aber damals wusste man es nicht besser, und außerdem wurden unverheiratete Mütter voller Verachtung behandelt.« Erica sah Mutter und Tochter vor sich. Sie hatte so viel Zeit damit verbracht, die Lebensgeschichte der beiden Frauen zu recherchieren, dass sie sie zu kennen glaubte. Eigentlich wusste sie gar nicht, warum sie so weit zurückgegangen war, als sie das geheimnisvolle Verschwinden der Familie Elvander aufzuklären versuchte, aber das Schicksal der beiden Frauen hatte sie so gefesselt, dass sie immer weitergemacht hatte.
»Was ist mit Dagmar passiert?«, fragte Ebba.
Erica reichte ihr noch ein Blatt Papier: die Kopie eines Schwarzweißfotos, das offenbar während einer Gerichtsverhandlung aufgenommen worden war.
»Mein Gott, ist sie das?«
»Darf ich mal sehen?«, fragte Anna. Ebba hielt ihr das Bild hin.
»Von wann ist das Foto? Sie sieht so alt und kaputt aus.«
Erica warf einen Blick auf ihre Notizen. »Dieses Bild stammt aus dem Jahr 1945, Dagmar war also
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