Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
die Ereignisse von 1974 konzentrieren müssen. Wir müssen die vier, mit denen wir schon gesprochen haben, noch einmal vernehmen, und dabei den Fokus auf den konkreten Verlauf jenes Tages richten. Außerdem müssen wir so bald wie möglich Percy von Bahrn aufsuchen. Das hätte natürlich längst passiert sein müssen, aber dafür übernehme ich die Verantwortung. Das Gleiche gilt für diesen Lehrer, der noch lebt. Wie hieß er noch mal? Der damals über Ostern freihatte, du weißt schon …« Patrik schnippte mit den Fingern.
»Ove Linder«, kam Gösta ihm zu Hilfe. Er wirkte plötzlich beklommen.
»Genau, Ove Linder. Wohnt der nicht in Hamburgsund? Mit ihm müssen wir gleich morgen früh reden. Möglicherweise kann er uns wertvolle Informationen über die Vorgänge in der Schule geben. Wir beide könnten zusammen hinfahren.« Er nahm Papier und Stift zur Hand und notierte die dringendsten Aufgaben.
»Tja …« Gösta rieb sich das Kinn.
Patrik schrieb weiter.
»Wir müssen morgen im Laufe des Tages mit den fünf Jungs sprechen, wir können sie ja unter uns aufteilen. Paula, du gehst vielleicht der Sache mit dem Geld nach, das Ebba überwiesen wurde?«
Paula strahlte. »Unbedingt. Ich habe bereits Kontakt mit der Bankfiliale aufgenommen.«
»Tja, Patrik«, wiederholte Gösta, aber Patrik verteilte weiter die Aufgaben, ohne ihm Beachtung zu schenken. »Patrik!«
Alle Blicke richteten sich auf ihn. Es war gar nicht Göstas Art, so laut zu werden.
»Was ist denn? Was wolltest du sagen?« Patrik sah Gösta an. Plötzlich ahnte er, dass ihm das, was der Kollege ihm nur widerstrebend erzählen wollte, nicht gefallen würde.
»Mit diesem Lehrer, Ove Linder …«
»Ja?«
»Mit dem hat schon jemand gesprochen.«
»Jemand?« Patrik wartete auf die Fortsetzung.
»Ich hielt es für keine schlechte Idee, wenn noch mehr Leute an dem Fall mitarbeiten. Es lässt sich einfach nicht bestreiten, dass sie gut recherchiert, und unsere Ressourcen sind ziemlich begrenzt. Da dachte ich mir, es kann ja nicht schaden, wenn uns jemand unterstützt. Du hast doch selbst gerade gesagt, dass wir manche Dinge längst erledigt haben sollten, und das ist uns auf diese Weise geglückt. Eigentlich ist es also eine gute Sache.« Gösta schnappte nach Luft.
Patrik musterte Gösta. Hatte der den Verstand verloren? Versuchte er etwa, darüber hinwegzutäuschen, dass er seine Kollegen hintergangen hatte, indem er seinem Vergehen etwas Positives abgewann? Plötzlich kam ihm ein Verdacht, der sich, hoffte er inständig, als falsch erweisen würde.
»Diese Sie … ist nicht zufällig meine geliebte Ehefrau? War sie diejenige, die mit diesem Lehrer gesprochen hat?«
»Äh … doch.« Gösta senkte den Blick.
»Mensch, Gösta.« Patrik klang, als spräche er mit einem kleinen Kind, das einen Keks geklaut hatte.
»Muss ich noch was wissen?«, fragte Patrik. »Am besten erzählst du mir gleich alles. Was hat Erica angestellt? Und du natürlich auch.«
Seufzend erzählte Gösta, was Erica ihm von ihren Besuchen bei Liza und bei John berichtet, was sie von Kjell über John erfahren und dass sie bei John einen Zettel gefunden hatte. Nach gewissem Zögern erzählte er schließlich auch von dem Einbruch bei Erica und Patrik zu Hause.
Patrik wurde es eiskalt. »Was zum Teufel sagst du da?«
Gösta blickte beschämt zu Boden.
»Jetzt reicht es mir aber.« Patrik sprang vom Stuhl auf und raste zum Auto. Er kochte vor Wut. Nachdem er den Zündschlüssel umgedreht und den Motor angelassen hatte, zwang er sich, einige Male tief durchzuatmen. Dann gab er Vollgas.
Ebba musste die Bilder immer wieder ansehen. Sie hatte sich mit dem gesamten Material in Ericas Arbeitszimmer zurückgezogen, um eine Weile allein zu sein. Nach einem Blick auf den überladenen Schreibtisch hatte sie sich einfach auf den Fußboden gesetzt und die Kopien der Fotos rings um sich herum fächerförmig ausgebreitet. Dies waren ihre Vorfahren, von ihnen stammte sie ab. Auch wenn sie es bei ihren Adoptiveltern gut gehabt hatte, war sie manchmal neidisch gewesen, weil die anderen zu einer Großfamilie gehörten. Sie war lediglich Teil eines Mysteriums. Sie wusste noch genau, wie oft sie vor den gerahmten Bildern auf der großen Kommode im Wohnzimmer gestanden hatte: Großeltern, Tanten und Cousins, lauter Menschen, die einem das Gefühl vermittelten, Glied in einer langen Kette zu sein. Jetzt die Fotos von ihren Vorfahren zu betrachten war ebenso wunderbar wie seltsam.
Ebba nahm
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