Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
müssen Sie sie selbst fragen.«
»Was könnte der Familie Elvander Ihrer Ansicht nach zugestoßen sein?«, fragte Gösta.
Patrik warf einen verstohlenen Blick ins Wohnzimmer. Ia hatte ihren leeren Teller auf dem Tisch stehenlassen. Sie selbst war nicht zu sehen.
»Keine Ahnung.« Leon schüttelte den Kopf. »Natürlich habe ich viel darüber nachgedacht, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer sie hätte umbringen sollen. Es müssen Einbrecher oder Verrückte gewesen sein. So wie Charles Manson und seine Bande.«
»In dem Fall hatten Sie ein Riesenglück, dass sie ausgerechnet zu dem Zeitpunkt gekommen sind, als Sie beim Fischen waren«, sagte Gösta trocken.
Patrik versuchte, Gösta dezent zu bremsen. Dies war ein Vorgespräch und kein Verhör. Sie hatten nichts davon, wenn sie Leon gegen sich aufbrachten.
»Eine bessere Erklärung habe ich nicht.« Ratlos hob Leon die eine Hand. »Vielleicht ist Rune von seiner Vergangenheit eingeholt worden? Möglicherweise haben diese Leute das Haus bewacht und abgewartet, bis wir weg waren? Da Ostern war, konnten nur wir fünf ihnen in die Quere kommen. Normalerweise waren viel mehr Schüler dort. Falls jemand die Absicht hatte, der Familie etwas anzutun, hat er sich also einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht.«
»Gab es denn in der Schule jemanden, der der Familie etwas antun wollte? Ist Ihnen vor dem Verschwinden nichts Verdächtiges aufgefallen? Merkwürdige Geräusche in der Nacht zum Beispiel?«, sagte Gösta. Patrik sah ihn fragend an.
»Nein, an so etwas kann ich mich nicht erinnern.« Leon zog die Augenbrauen hoch. »Es war alles wie immer.«
»Erzählen Sie uns etwas mehr über die Familie.« Patrik verscheuchte eine Wespe, die genau vor seinem Gesicht herumflog.
»Rune hatte die Zügel fest in der Hand, jedenfalls glaubte er das. Gleichzeitig war er auf eigenartige Weise blind für die Schwächen seiner Kinder. Vor allem die der beiden Ältesten, Claes und Annelie.«
»Wovor hat er denn die Augen verschlossen? Es klingt, als hätten Sie etwas Bestimmtes im Sinn.«
Leon starrte plötzlich ins Leere. »Nein, sie waren so unausstehlich wie die meisten Teenager. Wenn Rune nicht hinsah, quälte Claes gern die schwachen Schüler. Und Annelie …« Er schien zu überlegen, wie er sich ausdrücken sollte. »Wenn sie älter gewesen wäre, hätte man sie wohl als mannstoll bezeichnen können.«
»Und wie ging es Runes Frau Inez?«
»Ich glaube, sie hatte es nicht leicht. Von ihr wurde erwartet, dass sie sich um Ebba und den Haushalt kümmerte, und Claes und Annelie schikanierten sie ständig. Manchmal landete die Wäsche, mit der sich Inez den ganzen Tag abgerackert hatte, auf dem Rasen, oder ein Eintopf, den sie mühevoll zubereitet hatte, brannte an, weil zufällig jemand die Herdplatte eingeschaltet hatte. Solche Dinge passierten die ganze Zeit, aber Inez beklagte sich nie. Sie wusste wahrscheinlich, dass Rune das nicht beeindrucken würde.«
»Hätten Sie ihr nicht helfen können?«, fragte Gösta.
»Leider geschahen diese Dinge immer dann, wenn niemand in der Nähe war. Auch wenn sich leicht ausrechnen ließ, wer der Schuldige war, hieß das noch lange nicht, dass man es Rune gegenüber hätte beweisen können.« Er sah sie fragend an. »Was bringt es Ihnen, sich über die innerfamiliären Beziehungen zu informieren?«
Patrik überlegte, was er darauf antworten sollte. In Wahrheit wusste er es selbst nicht genau, aber irgendetwas sagte ihm, dass der Schlüssel zu dem, was passiert war, in den zwischenmenschlichen Beziehungen im Internat zu finden war. An die Theorie von den blutrünstigen Raubmördern glaubte er keine Sekunde. Was hätten die denn dort draußen stehlen sollen?
»Wie kam es, dass Sie fünf über Ostern in der Schule blieben?«, fragte er, ohne auf Leons Frage einzugehen.
»Percy, John und ich blieben dort, weil unsere Eltern auf Reisen waren. Bei Sebastian war es eher eine Art Nachsitzen. Er hatte sich wieder irgendetwas zuschulden kommen lassen. Und der arme Josef musste lernen. Da seine Eltern in überflüssigen Ferien keinen Sinn sahen, vereinbarten sie mit Rune, dass Josef gegen Bezahlung zusätzlichen Unterricht erhielt.«
»Das klingt, als hätte es unter Ihnen auch zu Konflikten kommen können.«
»Warum?« Leon sah Patrik an.
Gösta beantwortete die Frage: »Vier von Ihnen stammten aus reichen Elternhäusern und waren es gewohnt, immer alles zu bekommen. Josef dagegen kam aus einem ganz anderen Milieu und
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