Die Engelsmuehle
Habsburgergasse. Am Beginn der schmalen Gasse flatterte ein zur Hälfte abgerissenes Plakat an der Hausmauer: Der Schwarze Tod in Wien. Der nicht gerade einladende Aushang passte zu dieser unansehnlichen Gasse. Die mehrstöckigen Häuser pressten sich wie graue Pinselstriche aneinander und berührten mit den Giebeln beinahe die gegenüberliegenden Dächer. Fehlte nur noch das Wasser, dann hätte diese Gegend ebenso gut in Venedig liegen können. Der Eingang zur Gruft war genauso schlicht wie die umliegenden Gebäude: brüchiges Mauerwerk und eine pechschwarze Holztür mit Eisenbeschlägen. Bloß am Schaukasten und den fehlenden Namensschildern war zu erkennen, dass es sich um kein Wohnhaus handelte.
Unmittelbar vor dem Kellerabgang lehnte ein Werbeständer an der Mauer, der den Titel der Ausstellung trug, nur dass diesmal eine hässliche schwarze Fratze das Plakat zierte. Auch hier wurde mit keinem Wort Madeleine Bohmanns Name erwähnt, was nicht gerade der hohen Kunst der Werbung entsprach. Offensichtlich legte sie keinen Wert auf Bekanntheit oder hohe Besucherzahlen.
Als Hogart den Toreingang betreten wollte, kam eine Gestalt aus der Dunkelheit hervor.
»Hi.«
»Was zum Teufel machst du hier?«, entfuhr es Hogart.
Tatjana hatte sich mit schwarzem Lidschatten und mächtig viel Gel im Haar für die makabere Gemäldeausstellung zurechtgemacht.
»Sei froh, dass ich da bin. Du hast nämlich keine Ahnung von Kunst.«
»Ich habe letztes Jahr in Prag den Diebstahl von dreizehn Ölbildern aufgedeckt.« Noch während er sprach, wurde ihm klar, dass es keinen Grund gab, sich vor seiner siebzehnjährigen Nichte zu rechtfertigen.
»Erstens waren es keine Bilder, sondern Gemälde, was wiederum bestätigt, dass du keine Ahnung von Kunst hast«, korrigierte sie ihn, »und zweitens hattest du damals ebenfalls Unterstützung von einer Frau. Das hast du mir selbst erzählt.«
»Ivona Markovic ist Privatdetektivin, sie trainiert Judo und besitzt eine Walther PPK«, zischte Hogart.
»Das brauchen wir alles nicht. Wir werden diesen Fall mit Köpfchen lösen.« Tatjana wandte sich um und marschierte vor Hogart die Kellertreppe hinunter.
Hogart folgte ihr. Bereits nach wenigen Schritten wurde es kühl. Das Deckengewölbe glänzte ebenso feucht wie die Wände. Dieser Ort war bestimmt keine passende Umgebung, um wertvolle Ölgemälde auszustellen. Doch offensichtlich schien Madeleine Bohmann der zum Thema passende Rahmen wichtiger als die Sicherheit ihrer Exponate.
Am Ende der Treppe hing ein Banner von der Decke herab, worauf der Titel der Ausstellung noch einmal in gotischen Lettern zu lesen war.
Der Schwarze Tod in Wien
eine Schau über Pest und Cholera
- eine Sonderausstellung der Galerie Grimbaldi -
In einer Art Weihwasserkessel in der Mauernische lagen Visitenkarten der Künstlerin. Hogart zog eine heraus und betrachtete sie im Schein der nackten Glühlampen, die entlang einer blanken Stromleitung von der Decke hingen.
Madeleine Bohmann
Malerin, Künstlerin, Aktionistin
Engelsmühle 1
Kahlenberg
A-1090 Wien Döbling
Die Adresse war ungewöhnlich. Schließlich hatte Priola erwähnt, dass Madeleine einsam und zurückgezogen lebte. Interessant war allerdings, dass ihr Wohnort am Kahlenberg in der Nähe von Abel Ostrovskys Villa lag.
Hogart steckte die Karte ein und sah sich um. Niemand war hier, um die Gäste zu begrüßen, niemand verlangte ein Eintrittsgeld von ihm, und soviel er im düsteren Licht erkannte, gab es weder Sekt noch Brötchen. Es schien, als wurde alles Menschenmögliche unternommen, um bloß keine Besucher anzulocken. Dennoch trieben sich erstaunlich viele Personen herum - Verrückte, um genauer zu sein. Die meisten von ihnen um die vierzig, und damit in Madeleines Alter. Bis auf wenige Ausnahmen sah er nur Frauen. Sie trugen schwarze Kleider, silberne Ketten, jede Menge Ringe an den Fingern und hatten teilweise Lidschatten, dunkles Wangenrouge und schwarzen Lippenstift aufgetragen. Von Madeleine fehlte jede Spur. Unter diesen Gästen fiel Hogart auf wie ein Schaf im Wolfsrudel. Doch immerhin passte Tatjana in die Szene, und falls ihn jemand auf sein konservatives Aussehen ansprechen sollte, konnte er sich immerhin damit rausreden, dass er seine Tochter begleitete.
»Komische Typen«, flüsterte Tatjana an seiner Seite.
Hogart sah sie überrascht an. »Das sagst ausgerechnet du?«
»Die sind doch alle schon über vierzig.«
»Ach so, klar.«
Während sich Tatjana abwandte und
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