Die englische Episode
lächelndes Gesicht. «Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt habe, ich dachte, Ihr hättet meine Schritte gehört. Eure Listen sind fertig, ich hoffe, sie gefallen Euch. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt …»
Mit einer kleinen Verbeugung wies er auf einen Tisch vor dem letzten Fenster am Ende des Raumes und ging voraus.
Er nahm behutsam den obersten Bogen von einem flachen Stapel, der als einziger neben zwei Musterbüchern auf dem Tisch lag, und reichte ihn Rosina.
«Da Ihr mir die Wahl der Schriften überlassen habt», erklärte er, «wollte ich zuerst eine von Fleischmann aus Den Haag oder von Baskerville aus Birmingham nehmen. Baskerville hat besonders schöne neue Antiquaschriften geschaffen. Sie zeichnen sich durch die breiten senkrechten und besonders feinen waagerechten Striche aus. Ich kenne die Schrifttypen beider schon aus Hamburg, sie werden in ganz Europa verwandt. Besonders die neueren von Baskerville. Er war ein Perfektionist, müsst Ihr wissen, manche sagen auch: ein Pedant. Er hat sieben Jahre für die Entwicklung und Herstellung seiner Typen gebraucht,bevor er endlich zufrieden war. Ich gebe zu, so etwas beeindruckt mich sehr. Sogar die Druckerschwärze für seine Buchdruckerei ließ er nach eigenem geheimem Rezept herstellen. Niemals brächte ich so viel Geduld auf.»
Rosina betrachtete den Bogen, sah den sauberen Druck und bedauerte, dass diese gute Arbeit nun kaum mehr Verwendung finden würde. Die Münzen waren nach Almas Tod mehr oder weniger belanglos geworden. Andererseits würde Wagner die Suche sicher noch nicht aufgeben, um seinen Senator womöglich doch noch zufrieden stellen zu können. Sie hätte ihn gerne zu Hebbel mitgenommen, schließlich suchte er auch und noch immer – so hoffte sie jedenfalls – den Mörder des Boehlich’schen Faktors. Aber sie hatte ihn den ganzen Tag nicht gesehen und Hebbel würde kaum weglaufen, Wagner konnte ihn auch morgen noch besuchen und befragen. Wenn auch ohne viel Nutzen, das sagte ihr ihr Gefühl, und auf das konnte sie sich verlassen. Jedenfalls meistens.
«Sehr schön», sagte sie, «wirklich.» Wie lobte man einen auf sein Handwerk so offensichtlich stolzen Drucker? «Keine Letter sitzt schief. Und die Abstände zwischen den Buchstaben und Wörtern», das fiel ihr gerade noch ein, «sehen wunderbar gleichmäßig aus.»
«Nicht wahr? Harvey hat sie gesetzt, er ist einer der besten Setzer. Ich hätte Euch gerne bekannt gemacht, aber um diese Stunde», mit einer ausholenden Handbewegung zeigte er auf den menschenleeren Raum, «sind schon alle fort. Er brachte mich auch auf die Idee, besser die Typen von Caslon zu verwenden. Der war Graveur bei einem gefragten Londoner Büchsenmacher, bevor erTypenschneider wurde und endlich eine eigene Gießerei eröffnete. Das kunstvolle Ziselieren der Gewehrläufe erfordert die höchste Akkuratesse und Fingerfertigkeit, das ist die beste Voraussetzung für einen Typenschneider. Und weil er die Kunst, die Literatur wie die Musik und das Theater liebte, wie es heißt auch gutes Essen, anregende Gesellschaft und gewürztes Bier, hat er die beständig wachsenden Geschäfte schon sehr früh seinem Sohn übergeben. Wenn man die Zeilen genau betrachtet», er zog eifrig eines der Musterbücher heran, schlug es zielsicher bei einem Merkzeichen auf und schob es Rosina zu, «dann sieht man gleich, wie gut er es verstand, Handwerk und Kunst zu verbinden, findet Ihr nicht? Leider ist er vor einigen Jahren gestorben, im gesegneten Alter von 74 Jahren und nicht nur von seiner Zunft, sondern auch vom König geehrt. Er hatte ein beneidenswertes Leben, wenn ich später – du meine Güte, Mademoiselle Hardenstein, ich rede und rede, und dazu von nichts als meinen eigenen Belangen. Ihr müsst verzeihen, bei diesem Thema vergesse ich allzu gern, dass es nicht jeden Menschen so begeistert wie mich.»
«Aber nein», sagte Rosina, «es ist interessant. Bisher war die Art der Schrift für mich kaum von Belang. Wenn man ein Buch oder eine Zeitung liest, bedenkt man niemals, wie viel Mühe, Phantasie und Fertigkeiten vonnöten sind, um auch nur die Schrift zu machen.»
«Nicht wahr? Und die Titelblätter natürlich, für Bücher werden die häufig ganz in Kupfer gestochen. Auch Karten, Bilder und Ornamente, mit denen der Text ergänzt sein kann.»
Sein Blick glitt plötzlich unruhig zu den beiden Korrektoren hinüber, die immer noch über ihren Bögensaßen. Einer von ihnen legte gerade den letzten zur Seite, wischte die Feder
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