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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Eine Arbeit, die gewiss nicht zu ihren Aufgaben gehörte, doch sie tat es mit so wütendem Eifer, dass auch etliche Zweiglein von Petersilie, Thymian und Salbei ein vorzeitiges Ende fanden. Sie weinte nicht mehr, doch ihre Augen, die sich bei Augustas Erscheinen erschreckt weiteten, erinnerten fatal an die eines Albinokaninchens.
    «Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen», sagte Augusta munter und ließ sich mit einem kleinen Ächzer auf der Bank nieder. «Ich habe Sie vorhin erschreckt. Natürlich war es unmöglich von mir, einfach die Tür zur Wäschekammer zu öffnen, aber Sie müssen einer alten Frau verzeihen, Mrs.   Pratt, ich habe mein Zimmer gesucht und mich in diesem großen Haus verlaufen.»
    «Natürlich», murmelte Mrs.   Pratt, sie löste im Aufstehen hastig ihre hochgeschlagenen Röcke. «Das Haus ist groß. Wenn Ihr es wünscht, begleite ich Euch hinauf, Euer Zimmer ist im zweiten Stock, aber auf der vorderen   …»
    «Danke», unterbrach Augusta sie, «das ist sehr freundlich, aber ich finde es hier in der Sonne recht angenehm. Würde es Ihnen etwas ausmachen, sich auch zu setzen? Vielleicht auf die kleine Tonne? Ich muss sonst zu Ihnen aufsehen und bekomme einen steifen Hals. Ja, so ist es besser. Ich will Sie nicht aufhalten, Mrs.   Pratt, gewiss haben Sie furchtbar viel zu tun, ich möchte Sie nur bitten, niemandem von unserer Begegnung in der Wäschekammer zu erzählen. Besonders Mrs.   Cutler sollte es nicht erfahren, auf keinen Fall, auch meine Zofe nicht. Elsbeth neigt dazu, mich wie ein Kind zu behandeln. Wenn sie von meinem Ausflug unters Dach erfährt, lässt sie michkeine Minute mehr aus den Augen, und das vertrüge ich überhaupt nicht. Das verstehen Sie sicher.»
    Mrs.   Pratt verstand vor allem, dass Mrs.   Kjellerup versprach, ihr ungebührliches Benehmen, denn das waren ihr Schluchzen und die wortlose Flucht ohne Knicks und Verneigung gewesen, für sich zu behalten. Und weil sie eine so rücksichtsvolle Behandlung zutiefst erschütterte, begannen ihre Tränen sogleich wieder zu rinnen.
    Augusta vergaß umgehend ihren Vorsatz, ihre Neugier im Zaum zu halten. Sie lehnte sich ein bisschen bequemer an die Wand, drückte Mrs.   Pratt ihr Taschentuch in die Hand und lauschte entzückt der ganzen tragischen Geschichte.
    Mrs.   Pratt war schon seit etlichen Jahren die Hausdame der Cutlers, sie war es gerne, nur deshalb hatte sie so lange gezögert, den Antrag anzunehmen. Hier kannte sie ihre Aufgaben, Pflichten und Belastungen, aber wusste man, was bei einer Ehe herauskam? Zumal mit einem Witwer, dessen erwachsene Töchter noch zum Haus gehörten und eine neue Hausfrau sicher nicht freudig begrüßten. Immer wieder hatte sie ihn vertröstet, obwohl er ein sehr angenehmer Mann in ebenso angenehmen Verhältnissen war, auch geduldig, was man nicht von allen Männern sagen könne. Und dann sei da noch die Sache mit ihren eigenen Plänen gewesen, die sie als Gattin eines Kaufmannes natürlich auf gar keinen Fall hätte ausführen können. Sie sei eine exzellente Köchin, auch wenn das in diesem Haus niemand wisse, aber das sei sie, und Mrs.   Raffald habe einen solchen Erfolg, genauso ein Unternehmen wolle sie auch gründen, genau wie Elizabeth Raffald.
    Es dauerte ein Weilchen, bis Augusta begriff, dass es sich bei Mrs.   Raffald um eine ehemals herrschaftlicheKöchin handelte, die nicht nur ein für jeden Haushalt unverzichtbares Kochbuch geschrieben hatte, sondern in Manchester auch einen florierenden Lieferservice für Speisen aller Art betrieb, der von den ersten Häusern in Anspruch genommen wurde. Außerdem hatte sie ein ebenso erfolgreiches Vermittlungsbüro für ehrliches Hauspersonal gegründet, was vor ihr noch niemand getan hatte. Kurz und gut – Mrs.   Raffald lebte in behaglichen Verhältnissen, war unabhängig und der verkörperte Zukunftstraum aller Köchinnen des Königreiches.
    So habe sie sich nie entscheiden können, Mrs.   Webber zu werden, und nun sei es zu spät, denn Mr.   Webber sei tot. Sie werde ihn doch sehr vermissen, besonders da man nicht wisse, ob so ein Unternehmen wie das der Mrs.   Raffald auch in London floriere, denn London sei nun mal nicht Manchester.
    Augusta pfiff leise durch die Zähne, eine unpassende Angewohnheit, die ihr nur bei ganz besonderen Gelegenheiten unterlief. Schon das Wort ‹Tuchhändler› hatte sie stutzen lassen, als sie nun den Namen Webber hörte, fielen ihr die Gardinen im Salon ein und sie begriff, von wem die Rede

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