Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Antwerpen. Sie stammten von Tyndale – die einzigen, die sie noch übrig hatten.
»Wonach suchst du denn, John? Ich freue mich wirklich, dich zu sehen, aber du hättest vielleicht doch zuerst nach Hause zu deiner Frau gehen sollen.« Sie konnte es sich nicht verkneifen, leise hinzuzufügen: »Vor allem jetzt, da du mit leeren Händen zurückgekommen bist.«
Er ging mit großen Schritten durch den Raum und sah sich die Flugblätter noch einmal genau an, bevor er zuerst eines und dann ein zweites ins Feuer warf.
»John! Um Himmels willen, was …«
Die Flammen loderten hell auf, verschlangen das bedruckte Papier, das er unter großem Risiko ins Land geschmuggelt hatte. Schon stand er vor dem nächsten Bücherregal und blätterte durch, was dort lag, stellte einiges davon wieder zurück, übergab anderes den hungrigen Flammen. Schließlich nahm er die letzten beiden Exemplare des von Tyndale ins Englische übersetzten Neuen Testaments und wandte sich, das Gesicht mit einer Hand vor der Hitze abschirmend, wieder dem Feuer zu.
Kate versuchte ihm die Texte zu entreißen.
»John! Bist du wahnsinnig? Das ist die Heilige Schrift, die du da verbrennst! Außerdem sind das die letzten beiden Exemplare unseres Bestands.«
»Ich muss es tun, Kate. Sie haben Thomas Garrett verhaftet«, antwortete er ihr.
Ihre Hand verharrte in der Luft. Thomas Garrett war ebenfalls Buchhändler. Er verkaufte seine Bücher an die Gelehrten von Oxford und war ihr Hauptlieferant. Das, was John nicht selbst beschaffen konnte, kaufte er bei Garrett. Die Hitze des Feuers schien die Luft aus dem Raum zu saugen. Kate fragte mit erstickter Stimme:
»Was werden sie mit ihm machen? Hat Kardinal Wolsey ihn verhaften lassen oder waren es die Soldaten des Königs?«
»Das spielt keine Rolle. Heinrich VIII., der Verteidiger des Glaubens«, sagte John bitter, »wird tun, was auch immer der Kardinal verlangt. Glücklicherweise ist es Garrett gelungen, zu fliehen. Andere aber hat man eingesperrt. Ein Pfarrer aus der Honey Lane und seine Diener wurden sogar gefoltert.«
Er hielt inne und sah sie scharf an. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich waren sie wieder Kinder: Er, der stets vorsichtig war, versuchte sie vor einer Gefahr zu bewahren. »Garrett hat mir eine Warnung zukommen lassen, Kate. Möglicherweise hat man auch mich denunziert.«
Seine Stimme klang völlig ruhig, aber Kate sah die Angst in seinen Augen. Jetzt ergab sein überstürztes Handeln einen Sinn.
»Aber selbst wenn es stimmt und dein Name gefallen ist, bist du doch nicht ernstlich in Gefahr, oder? Schließlich hat die Kirche den Buchhändlern noch nie Schwierigkeiten gemacht. Das wäre schlecht fürs Geschäft. Und ganz gleich, ob der König nun das Sprachrohr des Papstes ist oder nicht, so etwas würde er niemals zulassen.«
Aber noch während sie diese Worte stotternd hervorbrachte, erinnerte sie sich an die neuen Gesetze, die das Drucken ungenehmigter Texte und insbesondere die Verbreitung lutherischer Schriften unter strenge Strafe stellten. Sie hatten diese Erlasse als einen Beschwichtigungsversuch gegenüber den Klerikern betrachtet, da sie nur den Handel einschränken sollten und der Vorwurf der Ketzerei bislang nicht erhoben worden war. »Bist du nicht wieder einmal übervorsichtig? Du bist doch kein lutherischer Prediger oder dergleichen. Unsere Kunden kommen zu uns, fragen nach den Büchern, und wir verkaufen sie ihnen. Du würdest sicher mit einem Bußgeld oder einer Verwarnung davonkommen. Sollte das geschehen, dann gebe ich dir recht, dann sollten wir die Bücher tatsächlich verbrennen.«
»Und was ist mit Thomas Garrett? Er ist auch nur ein Buchhändler, Kate. Er war in Oxford, um Bücher zu verkaufen. Seine Bücher stießen auf große Nachfrage. Und jetzt wurden sogar einige der Studenten verhört«, sagte er und warf dabei ein weiteres Evangelium in die Flammen. Wegen der sengenden Hitze trat sie einen Schritt zurück.
»Das war das Evangelium des heiligen Lukas! Das hast du selbst gedruckt.« Sie sah ihn plötzlich wieder vor sich, über seine Druckerpresse gebeugt, wie er nachts heimlich arbeitete und damit die Regeln der Zunft verletzte, die es strikt untersagten, nach Einbruch der Dunkelheit zu drucken. Sie sammelte die Texte, die noch übrig waren, ein und drückte sie an sich, während sie ihn fragte: »Warum können wir die Schriften nicht einfach verstecken, bis es vorbei ist?«
»Weil es diesmal nicht vorbeigehen wird. Sie werden erst aufhören, wenn
Weitere Kostenlose Bücher