Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
gemeinsamen Picknick holte. Wenn schönes Wetter herrschte, aßen sie im Juni freitags immer unten am Fluss. Als sie William geheiratet hatte, hatte sie ihm erklärt, dass jeder Tag der Woche ihm gehöre, bis auf den Freitag. Die Freitagnachmittage gehörten Sir Thomas.
Sie freute sich immer auf ihre Gespräche, heute aber war ihre Vorfreude ganz besonders groß. Heute würde er gewiss mit ihr über ihr Buch sprechen wollen. Es hatte die Genehmigung des Königs erhalten und war offiziell veröffentlicht worden. Jetzt konnten sie also darüber diskutieren. Als sie nicht gerufen wurde, beschloss sie, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und machte sich auf die Suche nach Lady Alice. Sie fand sie in der großen Küche, wo sie die Köchin herumkommandierte.
»Wo ist Vater? Es ist Freitag. Und es ist ein wunderschöner Tag. Hat man ihn wieder nach Westminster gerufen?«
Alice nahm gerade den Deckel vom großen Suppenkessel, der über dem offenen Herd hing, und probierte einen Löffel. Sie runzelte die Stirn.
»Da fehlt Salz und Würze, vielleicht etwas Salbei«, bellte sie quer durch die Küche. »Außerdem will ich, dass Sir Thomas kalte Buttermilch zu seinem Essen bekommt. Es wird dir nicht schaden, wenn du in den Keller hinuntersteigst. Nein, schick den Jungen.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des jungen Burschen, der vor der Küchentür gerade den Hahn ärgerte. »Er soll nicht faul herumstehen, sondern sich nützlich machen.«
»Dann ist Vater also zu Hause? Warum sind wir nicht …«
»Frag ihn doch selbst.« Ihre Mutter schöpfte Suppe in einen Teller, legte ein großes Stück noch warmes Krustenbrot hinzu und wischte mit ihrer schneeweißen Leinenschürze einen Humpen aus Zinn für die Buttermilch aus. »Er ist in seinem Arbeitszimmer. Wie immer. Du kannst ihm sein Essen bringen. Nicht dass er sich Zeit nehmen wird, etwas zu essen. Er vernachlässigt sogar seine Andachtsübungen. Ich bin wirklich verärgert über ihn.«
Es war nicht zu übersehen, dass sie »wirklich verärgert« war.
»Vermutlich müssen wir einfach etwas Geduld mit ihm haben«, sagte Margaret. »Wir hätten damit rechnen müssen, dass er jetzt, da er Lordkanzler ist, dem König jederzeit zur Verfügung stehen …«
»Papperlapapp. Es sind nicht die Angelegenheiten des Königs, die ihn zwingen, Tag und Nacht in seinem Arbeitszimmer zu verbringen. Der König ist auf einem Jagdausflug, und zwar schon seit März. Hier geht es um seine ganz persönliche Besessenheit. Ketzer – Ketzer, geröstet, gebraten oder flambiert –, das ist alles, woran er noch denken kann. Ich glaube, er würde sie am liebsten alle höchstpersönlich in die Hölle schicken. Auch deinen Mann, wenn er nur die Macht dazu hätte.«
»William ist kein Ketzer! Nur weil er unvoreingenommen ist, heißt das doch noch lange nicht …«
Der Junge kam mit der Buttermilch zurück. Die Köchin hatte sich klugerweise in die Vorratskammer zurückgezogen, um dort zu warten, bis sich ihre Herrin wieder beruhigt hatte. Lady Alice riss dem Jungen den Krug so heftig aus der Hand, dass etwas von der Buttermilch auf den Tisch schwappte. Während er so schnell wie möglich die Küche verließ, füllte sie den Humpen, nahm das Tablett und gab es Margaret.
»Da. Vielleicht kannst ja du die Arbeitswut deines Vaters bremsen.«
Ein paar Minuten später klopfte Margaret leise an die Tür des Studierzimmers.
»Wer ist da?«
Sie kannte diesen Ton. So hörte sich ihr Vater immer an, wenn er nicht gestört werden wollte.
»Ich bin’s, Margaret. Ich bringe dir etwas zu essen«, sagte sie, das Kratzen seiner Feder übertönend. Sie wartete nicht, bis er sie hereinbat, sondern trat ein. In dem Arbeitszimmer ihres Vaters, in dem normalerweise penible Ordnung herrschte, schien das reine Chaos ausgebrochen zu sein. Auf jeder verfügbaren Fläche lagen Bücher wild durcheinander, manche aufgeschlagen und mit dem Buchrücken nach oben, um eine Seite zu markieren, während verschiedene Manuskriptblätter bereits zum Trocknen ausgelegt waren. Sogar das Fensterbrett war belegt. Noch nie hatte sie erlebt, dass er so achtlos mit seinen Büchern umging.
»Stell das Tablett einfach hin, Meg«, murmelte er. »Ich werde später essen.«
»Und wo bitte soll ich es hinstellen?«, fragte sie spitz.
Erst jetzt blickte er auf. Als sie sein Gesicht sah, war sie schockiert. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Seine Wangen waren eingefallen.
»Vater, ist dir nicht wohl?«
Er legte seine Feder
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