Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Norden fuhr. Sie hatten nur eine einfache Schiffspassage gebucht, da sie sich sicher waren, für den Rückweg schnell ein anderes Handelsschiff zu finden. Im Kontor der Hanse, das hinter ihnen an den Docks aufragte, hatte man ihnen versichert, dass auf der Strecke zwischen Köln und Antwerpen eine Vielzahl von Schiffen verkehrte. Heute war nur ein einziges Schiff nach Norden gefahren, das allerdings keine Passagiere mitgenommen hatte. Kate sah jedoch jetzt zwei weitere Schiffe am Horizont, die sich von Süden her näherten. Sie hoffte, dass eines davon sie mitnehmen würde. Das größere der beiden Schiffe kam ihr irgendwie vertraut vor.
»John, ist das nicht …«
»Ja, das könnte sie sein«, sagte er und bückte sich schon nach der Kiste, die zu ihren Füßen stand. Sie hielt die Hand vor die Augen, während die Sirens’ Song näher kam.
»Ja, das ist sie. Komm schon. Lass uns zur Anlegestelle hinuntergehen.«
»Aber sie hat doch auch keine Passagierkabine. Erinnere dich nur daran, wie schmal die Pritsche war, auf der wir geschlafen haben.«
»Ich erinnere mich«, sagte er. Seine Augen glänzten. »Soweit ich weiß, sind wir damit ganz gut zurechtgekommen.« Dann fügte er hinzu: »Wenn es dir zu eng ist, schlafe ich eben auf dem Boden.«
»Damals musste uns Kapitän Lasser sein eigenes Quartier zur Verfügung stellen.«
»Er wird uns gern an Bord nehmen. Wir sind doch gute Freunde geworden.«
»Während ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt habe. Das ist das Einzige, woran ich mich erinnern kann.«
Sie verstand ihr Zögern selbst nicht. Der Rest der Reise war durchaus angenehm verlaufen, nachdem sie erst einmal ihre Übelkeit überwunden hatte. Aber Kapitän Tom Lasser hatte etwas an sich, das sie beunruhigte.
»Willst du lieber auf ein anderes Schiff warten?«, fragte er.
»Nein«, sagte sie, denn sie kam sich inzwischen selbst albern vor. »Wer weiß, wie lange das dauern würde? Immerhin kommen wir so schnell nach Hause.«
23
[Thomas More besitzt] von allen Männern in Europa das größte Talent, in gutem Latein aufs Übelste zu schimpfen.
Francis Attenbury, Bischof der Anglikanischen Kirche, 17. Jahrhundert.
T homas More verließ die Star Chamber. Er war erregt wie ein Jagdhund, der eine frische Spur wittert. Der neue Bischof von London erwies sich als wesentlich wertvollerer Verbündeter als sein Vorgänger. Cuthbert Tunstall war zwar sowohl sein Freund als auch ein gelehrter Mann gewesen, aber ihm hatte der notwendige Biss für diese Aufgabe gefehlt. Bischof Stokesley hingegen hatte Thomas darauf hingewiesen, dass es zwar ehrenwert sei, mit Worten anzugreifen, dass man jedoch eine so ernste Bedrohung wie die Ketzerei gegebenenfalls auch mit Feuer bekämpfen müsse. Thomas stimmte dem voll und ganz zu. Jetzt endlich würde die wirkliche Arbeit beginnen.
Heute hatten sie große Fortschritte gemacht. Es war ihnen gelungen, einen Mann namens George Constantine, der in großem Umfang ketzerische Übersetzungen und Traktate verbreitet hatte, dazu zu bewegen, ein öffentliches Geständnis abzulegen. Nach einem kurzen Gespräch in Mores privatem Garten in Chelsea und der anschließenden Ruhepause im Stock in der Pförtnerloge hatte Constantine sich bei seinem Geständnis in der Star Chamber sehr entgegenkommend gezeigt und die Namen seiner Gewährsmänner nicht nur in England, sondern auch in Antwerpen preisgegeben. Auch der Name John Frith fiel, als Verfasser einer kühnen und gotteslästerlichen Abhandlung, in der er den Papst als den Antichristen in Rom bezeichnete. Noch ein brillanter junger Kopf, den sie an Luther verloren hatten – diesen cacodemon , diesen durchtriebenen Teufel.
Tatsächlich war es für ihn keine Überraschung zu erfahren, dass Frith sich in Antwerpen aufhielt. Schließlich war allseits bekannt, dass er ein Schützling von Tyndale war. Genauso wenig überraschte es ihn, dass es dort ein ganzes Nest von Häretikern gab, die vor allem im Englischen Haus verkehrten. Das hatte er schon lange vermutet, aber leider hatte die englische Krone in Flandern keine Handhabe. Obwohl die katholischen Behörden nur allzu gern mit ihr zusammenarbeiten würden, waren die Bewohner des Englischen Hauses durch Verträge mit der weltlichen Herrschaft vor ausländischen Behörden geschützt. Was sie also brauchten, war ein Spion im Inneren, und jetzt endlich hatten sie den richtigen Mann dafür gefunden. Henry Philips war ein Feigling und gleichzeitig ein Mensch, der sogar seinen eigenen Vater
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