Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
feucht auf seine Haut legte und in seine Nase kroch, begann er vor Kälte so heftig zu zittern, dass seine Zähne aufeinanderschlugen. Bis Mittag schließlich hatte die Sonne den Nebel aufgelöst, und er spürte, wie ihre Strahlen auf seinen Kopf und seinen Nacken niederbrannten.
Die meiste Zeit hielt er die Augen geschlossen, da ihm die Bilder in seinem Kopf lieber waren als der Anblick seiner Füße und des braunen Flecks festgetretener Erde, das Einzige, das innerhalb seines Sichtfeldes lag. Einige der geistigen Übungen, die er im Fischkeller gelernt hatte, waren ihm jetzt von großem Nutzen. Er stellte sich seine Frau vor und katalogisierte diese Bilder dann: die starke Kate, die ihm auf dem Kai tapfer zuwinkte, die blinzelte, damit er ihre Tränen nicht sah, als er sie zum Abschied küsste; die entschlossene Kate, die sich konzentriert über ihre Näharbeit für das Baby beugte und leise fluchte, wenn sie einen falschen Stich auftrennen musste; die zornige Kate, deren Augen vor Verachtung blitzten, wenn sie von den Ketzerjägern sprach; die freundliche Kate, die seine Federkiele spitzte, die Korrektur las, seinen Nacken massierte – er stellte sich ihre Hände auf den schmerzenden Muskeln seiner Schultern vor. Er rief sich den Duft ihrer Haare, die Textur ihrer Haut, den Geschmack ihrer Lippen so lange ins Gedächtnis, bis dieses Bild in seiner Unveränderlichkeit für ihn zur Wirklichkeit wurde.
Am Nachmittag schließlich waren seine Muskeln so verkrampft, dass seine Ablenkungsstrategien nicht mehr funktionierten. Er konnte ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken, sein Magen brannte vor Hunger. Er fürchtete das Auspeitschen, das unter Mores neuem Vagabundengesetz vorgeschrieben war, aber er wollte es zugleich so schnell wie möglich hinter sich bringen. Die Schmerzen, die er dann empfinden würde, würden die Schmerzen in seinen Beinen verdrängen. Sie würden sie nicht lindern, aber es wäre eine andere Art von Schmerz; und falls er das Auspeitschen überlebte, würde er frei sein. More mochte vielleicht nicht mehr Kanzler sein, aber Gesetz war Gesetz, und was er bisher vom hiesigen Gesetzesvollzug mitbekommen hatte, ließ ihn vermuten, dass man ihm gegenüber keine Gnade walten lassen würde.
Der Stock stand auf einem öffentlichen Platz. John überlegte, ob er ein paar Passanten seinen Namen zurufen und sie bitten sollte, zur Abtei zu gehen und dort von seiner Notlage zu berichten. Angesichts der Beschimpfungen und der Misshandlungen, mit denen er bisher überhäuft worden war, bezweifelte er jedoch, dass er damit Erfolg haben würde. Das Risiko, dass sein Name den Falschen zu Ohren kam, stimmte ihn ebenfalls mehr als nachdenklich. Immerhin wurde er gesucht. Ein kräftiger Mann konnte die Peitsche überleben; den Scheiterhaufen überlebte er jedoch mit Sicherheit nicht.
Am dritten Tag schließlich tat er das, was er auch schon im Fischkeller getan hatte: Er begann im Geiste Homer zu zitieren, Vers um Vers auf Griechisch, um nicht den Verstand zu verlieren. Gelegentlich verirrte sich dabei ein griechisches Wort in seine ausgedörrte Kehle. Da er die Augen geschlossen hielt, wann immer sich Passanten näherten, damit sie sich nicht aufgefordert fühlten, ihn zu beschimpfen, sah er die Frauen nicht, die gerade Wasser aus dem Brunnen geschöpft hatten.
»Der arme Mann. Er ist verrückt geworden. Er murmelt lauter unverständliches Zeug.«
»Gib ihm etwas zu trinken. Er ist bestimmt schon am Verdursten.«
Als John das Mitleid in ihren Stimmen hörte, öffnete er die Augen. Er konnte nur ihre Füße sehen, die in staubigen, abgetragenen Holzschuhen steckten, daneben einen Kübel mit Wasser, den eine von ihnen auf dem Boden abgestellt hatte. Er sah das kühle, klare Nass und dachte unwillkürlich an Tantalus.
»Wir dürfen ihm kein Wasser geben, Charlotte. Das ist verboten.«
Er stöhnte.
»›Ein Becher Wasser in meinem Namen‹, so steht es doch in der Bibel. Es ist also, als würden wir Christus das Wasser geben. Und wer würde unserem Herrn denn nicht zu trinken geben?«
Sie zitierten die Heilige Schrift. Sie lasen die Bibel!
»Bitte«, versuchte er zu sagen, aber sein Hals war so trocken, dass er nur ein Krächzen hervorbrachte.
Schwielige Hände tauchten hastig in den Eimer und hielten ihm eine doppelte Handvoll Wasser an den Mund. Er trank wie ein Hund, bis er mit seiner Zunge die raue Handfläche fühlte. Die Frau gab ihm noch einmal eine Handvoll Wasser, und er trank, bis es ihm gelang, unter
Weitere Kostenlose Bücher