Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Master Cromwell zu sprechen. Diese Männer halten mich gegen meinen Willen fest. Es sind Schläger und Räuber.«
John spürte, wie sich die Spitze des Dolches noch fester in seine Seite grub. Er war für seinen schweren Mantel und das Wams aus dicker Serge überaus dankbar. »Bringt mich zu Master Cromwell …«
»Der Mann hier ist ein Ketzer«, knurrte der Riese. »Der Bischof hat seine Verhaftung angeordnet.«
»Man hat mich gewaltsam entführt. Nach dem neuen Gesetz des Parlaments besitzt der Bischof keinerlei Befugnis, jemanden festnehmen und einsperren zu lassen. Wenn man mich aufgrund einer Anklage verhaften will, dann muss dies durch den König und nicht durch den Bischof geschehen.«
Der Soldat schien zu überlegen.
»Bringt mich zu Master Cromwell, wenn Ihr meine Worte bezweifelt. Wenn ich unrecht habe, könnt Ihr mich persönlich dem Bischof überstellen. Wenn ich aber recht habe, verhindert Ihr einen Justizirrtum und verdient Euch Master Cromwells Wohlwollen.«
Die Soldaten berieten sich kurz. Zu Johns großer Erleichterung bedeutete einer von ihnen dem Kutscher mit einem Kopfnicken, er solle sich nach hinten zu dem Gefangenen setzen. Dann übergab er seinem Kameraden die Zügel seines Pferdes und nahm selbst auf dem Kutschbock Platz. Schon eine Stunde später befand John sich in Gewahrsam von Constable Kingston im Tower.
Johns erste Nacht im Tower war weniger schlimm, als er befürchtet hatte. Der diensthabende Wachmann informierte ihn, dass der Constable sich bereits in seine Privatgemächer zurückgezogen habe und den Gefangenen deshalb erst morgen befragen werde. Dann brachte er ihn zu seiner Zelle, die, wie sich herausstellte, zumindest über ein Fenster verfügte, das hoch oben in die Wand eingelassen war und den Blick auf den Himmel freigab. Wenn der Morgen graute, würde er also nicht im Dunklen sitzen müssen. Im Augenblick fiel das kalte Licht der Sterne in den kahlen, kleinen Raum und betonte dessen Trostlosigkeit. Eine Strohmatratze mit einem Drillichbezug, der noch so sauber roch, dass sie dem kalten Steinboden vorzuziehen war, stellte das einzige Mobiliar dar.
John erhielt ein Abendessen, das er nicht einmal bezahlen musste. Und das war auch gut so, denn er besaß nur noch eine einzige Münze, die in den Saum seines Mantels eingenäht war. Sie war für seine Heimfahrt bestimmt, und er war entschlossen, dieses Geld nicht auszugeben, selbst wenn er schlimmen Hunger erleiden musste.
Er war so erschöpft, dass er erstaunlich gut schlief. Am nächsten Morgen erhielt er zu seiner Überraschung sogar ein Frühstück, das zwar nicht üppig war, nur ein Stück trockenes Brot und etwas wässriges Porridge, aber sattmachte. Wie aber sollte er ohne Bücher und Schreibzeug überleben? Er konnte nicht einmal Kate einen Brief schreiben, um sie wissen zu lassen, dass seine Ankunft sich verzögerte. Wenn er ihr doch nur mitteilen könnte, dass es zwar eine kleine Verzögerung gab, sie sich aber keine Sorgen zu machen brauche und alles gut werden würde.
Er überlegte gerade, wie dick die Mauern seines steinernen Gefängnisses sein mochten und ob es je einem Menschen gelungen war, aus dieser Festung zu entkommen, als sich die Tür seiner Zelle öffnete und zwei Männer eintraten. Der Größere der beiden, der ein Schwert um sein samtenes Wams gegürtet hatte, stellte sich als der Constable vor. Sein Begleiter war ebenfalls prächtig gekleidet, trug jedoch eine Samtkappe und eine Robe. Offensichtlich war er ein Mann von gewissem Einfluss, auch wenn nichts an seiner Erscheinung einen Höfling vermuten ließ. Wie ein Bischof sah er jedoch auch nicht aus.
»Master Frith, ich kann sagen, dass ich sehr erfreut bin, Eure Bekanntschaft zu machen. Ich war sehr neugierig auf Euch.«
»Dies ist Master Cromwell«, sagte der Constable. »Er interessiert sich besonders für jene Gefangenen, denen man Ketzerei vorwirft. Ihr untersteht allein seiner Jurisdiktion. Aber wie mir die Offiziere sagten, die Euch verhaftet haben, wisst Ihr das bereits.«
John rappelte sich so würdevoll wie möglich vom Boden auf und machte vor einem der mächtigsten Männer des Hofes eine kleine Verbeugung.
»Master Cromwell, Euch kennt ganz England, aber wie kommt es, dass Ihr schon von mir gehört habt?« Cromwell lächelte.
»Nun, ich habe Eure Disputation des Fegefeuers gelesen.«
»Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte John und nahm den Mann genauer in Augenschein. Er vermutete, dass er für Schmeicheleien durchaus empfänglich
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