Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
sich das Kind in ihr bewegte, genau genommen nicht mehr seit sie die Nachricht von Johns Verhaftung bekommen hatte. Zuerst hatte sie noch mit dem Kind gesprochen, hatte es getröstet. Wusste das Kind vielleicht, was geschehen war? Spürte es ihren Kummer? Oder lag es nur an ihrer Erschöpfung? Der Schlaf war jetzt ihr Geliebter, ihr Trost, ihr Gefährte, denn im Schlaf konnte sie vergessen. Der mit Honig gesüßte Trank, den Mistress Poyntz ihr zur Beruhigung gegeben hatte und der aus Met und gemahlenem Mohn bestand, war ihr ein treuer Freund geworden, dessen Trost und seliges Vergessen sie oft suchte. Vielleicht schlief das Baby ja nur.
Aber selbst als sie auf den Trank verzichtete und schlaflos und von Ängsten gepeinigt wach in ihrem Bett lag, rührte das Kind sich nicht. Da wusste sie, dass es tot war. Sein Herz schlug nicht mehr. Ihr Kummer war so groß, dass sie darum betete, sterben zu dürfen. Diesen Gedanken bereute sie jedoch sofort. John muss sich sicher sein können, dass seine Frau auf ihn wartet.
Als ihr Körper das tote Kind schließlich von sich gab, hatte sie keine Tränen mehr. Einmal rief sie in ihrer Verzweiflung nach John, dann erinnerte sie sich, dass John nicht bei ihr war und dass sie ihn vielleicht nie wiedersehen würde. Als die Hebamme ihr den leblosen, winzigen Körper ihres Sohnes in die Arme legte, war sie erstaunt über dessen Vollkommenheit. Sie fragte sich, ob er blaue Augen hatte, aber das würde sie niemals erfahren, denn die Fenster zu seiner Seele hatten sich nicht geöffnet. Sie hätte den Gedanken auch nicht ertragen, dass er, wie es die Priester lehrten, jetzt in der Vorhölle ausharren musste. Es war tröstlich zu wissen, dass die Bibel einen solchen Ort nicht erwähnte.
Nachdem die Hebamme den vollkommenen, kleinen Körper gewaschen und sie ihn in das Tuch eingewickelt hatten, das seine Wiege hätte auskleiden sollen, hatte William Tyndale ein Gebet gesprochen und jene Stelle im Evangelium vorgelesen, in der Jesus die kleinen Kinder zu sich rief. Dann nahm Kate die Münze mit der heiligen Anna von ihrem Hals, drückte sie an ihre Lippen und legte sie wie einen Rosenkranz in sein winziges Händchen. John wäre das nicht recht gewesen. Er glaubte nicht an die Kraft von Heiligenmünzen. Aber John war nicht da, und William war zu gütig, um sie deshalb zu schelten. Sie hatte die Kette, genau wie ihren Sohn, nahe an ihrem Herzen getragen. Sie beerdigten ihn im Garten der Kapelle. Kate legte einen Steinhaufen auf sein Grab, so rund und vollkommen wie sein kleiner Schädel. Master Tyndale hatte ein tiefes Kreuz in den untersten Stein geritzt und ihn dann fest in den Boden gedrückt. Es spielte keine Rolle, dass ihr Sohn nicht getauft worden sei, sagte William. Seine Seele sei unschuldig und kehre jetzt einfach zu Gott zurück.
Kate blutete tagelang, sodass sie schließlich glaubte, ihr Blut sei so unerschöpflich wie der Brunnen ihres Kummers. Dann, nach drei Wochen, hörten die Blutungen auf und sie kam so weit zu Kräften, dass sie sich wieder der Buchhaltung und dem Korrekturlesen widmen konnte. Ihr Kummer jedoch blieb. An den Treffen der Bibelfrauen nahm sie nicht mehr teil. Sie verspürte kein Verlangen mehr danach.
Alle waren freundlich zu ihr, die meisten Kaufleute behandelten sie so vorsichtig wie das Glas, das sie auf ihren Schiffen aus Venedig mitbrachten, fragten sie mit leiser Stimme nach Neuigkeiten von John, versicherten ihr immer wieder mit gespielter Zuversicht, dass sie die Hoffnung nicht aufgeben dürfe. Das Kind erwähnte niemand. Es schien, als hätte es nie existiert. Allein Master Tyndale tröstete sie.
Er weiß, was sie alle riskieren, dachte sie. Er war sich dessen schon immer bewusst gewesen, und dennoch macht er weiter, als beruhe sein Tun auf einem nicht auflösbaren Vertrag, den er geschlossen hat. Er hat eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt, und er ist glücklich und zufrieden damit. Kate indes war sich nicht so sicher, ob sie einen solchen Handel mit Gott abgeschlossen hatte – ihre Vorfahren vielleicht, sie jedoch zweifelte.
Sie sprach mit William darüber, und er sagte ihr, dass nicht alle zu einem solchen Handel aufgefordert wurden.
»Glaubt Ihr, dass John eine solche Vereinbarung geschlossen hat?«
»Ich glaube schon«, sagte er ernst. »Und wenn ich daran denke, was das für Euch bedeuten könnte, bin ich froh, dass ich selbst nie geheiratet habe.«
»Ich würde nicht wollen, dass John meinetwegen widerruft«, sagte sie. »Damit
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