Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Ketzer. Er leugnet sogar die Messe. Er wird sich vor Gericht verantworten müssen«, sagte Heinrich zwei Wochen später, als er Anne die Neuigkeit überbrachte. Er wappnete sich für den Wutausbruch, der, wie er wusste, zweifellos folgen würde.
»Höchst bedauerlich«, war indes alles, was sie sagte.
Seit der Krönung war sie nicht mehr sie selbst. Das ist nur die Schwangerschaft, versuchte er sich einzureden. Das war gewiss der Grund für ihre wechselnden Stimmungen, obwohl sie schon immer ein aufbrausendes Temperament besessen hatte. In letzter Zeit fragte er sich jedoch immer öfter, ob sie mit ihrem Temperament als Königin überhaupt geeignet war. Katherine mochte zwar unfruchtbar gewesen sein, aber das Volk hatte sie geliebt. Ihr Verhalten war stets einer Königin würdig gewesen. Anne hingegen benahm sich manchmal mehr wie ein Fischweib. In den letzten Tagen allerdings, genauer gesagt nach dem großen Wutanfall im Anschluss an ihre Krönung, kam sie ihm irgendwie … abgelenkt, ja sogar teilnahmslos vor. Er hoffte, dass sich diese seltsame Stimmung nicht auf das Kind auswirkte.
Trotz seiner großen Bemühungen, trotz der Kosten und des Drucks, den er auf die Adeligen ausgeübt hatte, damit sie die neue Königin mit Ehrerbietung und Respekt behandelten, war die Krönung eine einzige Enttäuschung gewesen. Anne hatte ihn persönlich dafür verantwortlich gemacht. Er konnte die Menschen jedoch nicht zwingen, sie zu lieben. Bei dem Festzug durch die Straßen von London hatte man ihr nur wenig Begeisterung entgegengebracht und sie sogar beleidigt. Viele hatten sich geweigert, respektvoll ihre Mützen abzunehmen, sodass die alte Kammerfrau, die stets an ihrer Seite war, sich genötigt gesehen hatte, einigen in der Menge zuzurufen, dass sie wohl Grind auf dem Kopf hätten, weil sie sich so standhaft weigerten, ihn zu entblößen. Einige hatten das wiederum nicht hinnehmen wollen und daraufhin ihrerseits die Königin beschimpft. Heinrich, hoch zu Ross, hatte so getan, als würde er es nicht hören. Er ließ sein Pferd jedoch tänzeln und das goldene Zaumzeug klirren, damit die Menschen jubelten. Anne sollte glauben, der Jubel gelte ihr. Es schien ihm die beste Lösung zu sein. Wenn er die Gunst des Volkes nicht einmal mit großem Spektakel und freier Speise und Trank erkaufen konnte, konnte er sie auch nicht mit Gewalt erzwingen.
»Ich weiß, dass Euch an Frith besonders viel liegt«, sagte er. »Vielleicht wird er ja in letzter Minute noch widerrufen.«
»Vielleicht«, antwortete sie ihm.
Nein, sie war wirklich nicht mehr sie selbst.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er Jane Seymour, die gerade das Nachtgewand seiner Frau bereitlegte. Als Anne dies bemerkte und ihn scharf ansah, wandte er den Blick ab. Seine Gedanken indes verweilten bei Jane, und er fragte sich, wie sich ihre kühle, helle Haut anfühlen mochte und ob es ihm gelingen würde, sie vor Leidenschaft erröten zu lassen.
»Lasst uns allein«, fuhr Anne sie barsch an. Ihre dunklen Augen glitzerten vor Unmut. Heinrich hatte inzwischen gelernt, die Vorboten ihres aufflammenden Zorns zu erkennen, der stets zuerst in ihren Augen aufblitzte.
Die blonde Schönheit knickste und zog sich zurück. Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie jedoch Heinrich noch einen mitfühlenden Blick zu.
Auch Heinrich verließ kurz darauf das Zimmer, während Anne ihm in giftigem Ton hinterherrief, er solle zurückkommen. Er ging stattdessen zum Turnierplatz, um sich im Kampf zu üben – vielleicht würde es ihre Stimmung verbessern, wenn sie ein paar Nächte allein verbrachte –, dann ließ er Erzbischof Cranmer rufen, um sich mit ihm gemeinsam auf John Friths Prozess vorzubereiten.
38
… [E]ure Frau fügt sich Gottes Willen und würde der Ehre Gottes keinesfalls im Weg stehen.
aus Tyndales Brief an den inhaftierten John Frith.
E s überraschte John nicht, dass Thomas Cromwell ihn ein paar Tage nach der Krönung der Königin in seiner Zelle besuchte. Er hatte festgestellt, dass man ihn in letzter Zeit anders behandelte. Man hatte schon seit einiger Zeit niemanden mehr zu ihm gelassen, hatte ihm weder Kerzen noch Feder oder Papier gegeben. Nicht einmal ein Buch zum Lesen gestattete man ihm. Lediglich ein Exemplar von Thomas Mores Antwort auf Johns Predigt über die Eucharistie war wie von Zauberhand in seiner Zelle aufgetaucht.
Er hatte sich voller Elan darauf gestürzt, hatte über Mores klägliche Beweisführung frohlockt. Gewiss würde doch jeder halbwegs
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